EU-Wirtschaftspolitik:Frankreich - Deutschland: 0:2

Zweimal griff Sarkozy an, zweimal scheiterte er an Merkel: erst bei der Mittelmeerunion, jetzt bei der Wirtschaftsregierung. Der Zukunftsplan, über den auf dem EU-Gipfel beraten wird, trägt die Handschrift der deutschen Kanzlerin.

Claire Demesmay

"Europäische Wirtschaftsregierung", das hört sich nach einer prächtigen Institution an, das klingt nach einem Schloss an der Loire, das das Selbstbewusstsein des französischen Staates ausstrahlt. In Wirklichkeit aber ähnelt sie eher dem Berliner Stadtschloss, einem Bau, den es nur auf dem Papier gibt.

Angela Merkel, Nicolas Sarkozy

Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy verstehen sich - hier auch für die Fotografen - gut, fahren in Sachen Wirtschaftspolitik aber zwei verschiedene Strategien.

(Foto: ap)

In der Tat steht die Wirtschaftsregierung, die seit Montag von ihren Architekten Merkel und Sarkozy gelobt wird, fest auf deutschem Boden; nur noch ihre offizielle Bezeichnung gouvernement économique klingt französisch.

Seit der Einführung des Euro vor mehr als einem Jahrzehnt versuchen die Franzosen, ihren deutschen Partnern die Idee eines gouvernement économique schmackhaft zu machen. Vergebens! Denn Berlin erkennt darin (ohne damit ganz unrecht zu haben) den Willen der französischen Regierung, sich in transnationle Wirtschaftsfragen einzumischen und vor allem die politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank in Frage zu stellen.

"Non" aus Berlin

Solche Forderungen hat Berlin immer strikt abgelehnt und den Verzicht sogar zur Bedingung für die Währungsunion gemacht. Daher klingt es beinahe revolutionär, wenn die Bundeskanzlerin nun behauptet, dass die EU "eine starke Wirtschaftsregierung" brauche.

Kein Wunder also, dass sich der französische Präsident gefreut hat und es nicht lassen konnte, zu unterstreichen: "Frau Merkel hat es gern, wenn man sie überzeugt." Auf französischer Seite wird das W-Wort aus dem Munde der Bundeskanzlerin als Sieg interpretiert.

Aber wer hat hier wen überzeugt? Denn trotz des Begriffs "Wirtschaftsregierung" hat sich Berlin auf ganzer Linie durchgesetzt: Der Grundriss, den Angela Merkel und Nicolas Sarkozy ihren europäischen Partnern an diesem Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel vorlegen wollen, trägt klar deutsche Züge.

Erstens soll, zum Bedauern Frankreichs, kein neues Gremium geschaffen werden. Den rotierenden Vorsitz und das ständige Sekretariat, die sich Paris seit jeher wünscht, um die Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone vorzubereiten, hat Berlin abgelehnt. Außerdem soll die wirtschaftspolitische Koordination für alle 27 EU-Mitglieder gelten, und nicht nur für die 16 Länder der Eurozone (worauf Frankreich immer bestanden hat).

Schließlich haben beide Seiten die Notwendigkeit einer konsequenten Haushaltsdisziplin betont, wobei Sarkozy seine Bedenken zur deutschen Sparpolitik fallenließ. Über den deutsch-französischen Austausch hinaus ist es Berlin in den letzten Wochen gelungen, in vielen EU-Staaten einen strengen Sparkurs durchzusetzen und somit europaweit eine seiner grundlegenden Forderungen umzusetzen. In dieser Hinsicht ist Europa "deutscher" geworden.

Nur bei der Frage der Sanktionen für Mitgliedsstaaten, die den Stabilitätspakt nicht einhalten, ist ein wirklicher deutsch-französischer Kompromiss zu erkennen. Die vorhandenen Sanktionsmechanismen werden zwar verschärft, wie von Berlin gefordert. Aber ein möglicher Ausschluss aus der Währungsunion ist keine Option mehr.

Ein kleiner Trost

Für Paris ist das ein kleiner Trost. Allerdings: Ein wirkliches Zugeständnis der Deutschen ist das nicht. Dazu würde der Ausschluss eines Euro-Landes zu viele ungeklärte juristische Probleme aufwerfen.

Die französischen Pläne sahen eigentlich ganz anders aus. Genau wie Berlin projiziert Paris das eigene Wirtschaftsmodell auf die gesamte EU. In Frankreich gilt der Primat der Politik: Die Regierung spielt eine aktive Rolle in der Wirtschaftspolitik, die nicht einer nachgeordneten Behörde oder gar einer unabhängigen Zentralbank überlassen werden darf.

So sollte es auch in der Europäischen Union sein: Nach Meinung Frankreichs ist es sowohl legitim als auch erforderlich, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs bei wichtigen Fragen der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik mitreden und Impulse geben.

Da Währungspolitik als hoch politische Angelegenheit betrachtet wird, sollten außerdem nur die Mitglieder der Eurozone an solchen Gesprächen teilnehmen. In diesem Sinne hat Paris in der Vergangenheit für die Schaffung einer "Eurogruppe" gekämpft und 1997 auch durchgesetzt.

Zudem nutzte es 2008 seine Ratspräsidentschaft, um ein Krisentreffen der Vertreter der Euro-Staaten zu organisieren (an dem allerdings auch der damalige britische Premier Gordon Brown teilnahm). Die aktuelle Wirtschaftskrise, sagt Sarkozy, bestätigt die Richtigkeit dieser Strategie. Deswegen hoffte der französische Präsident, die EU werde auf diesem Weg weitergehen und solche Treffen, die es in letzter Zeit mehrmals gab, institutionalisieren.

Auch in punkto Wachstumsstrategie könnten beide Länder kaum unterschiedlicher sein. Während Deutschland auf den Export setzt, ist das französische Wirtschaftsmodell konsumorientiert: Die Binnennachfrage bestimmt das Wachstum, Sparpolitik wird daher als eine Ursache für Rezession gesehen. Immer mehr Experten und Politiker warnen zwar vor der Gefahr hoher und ständig wachsender Schulden. Dennoch hält man in Frankreich von Sparprogrammen grundsätzlich nicht so viel.

Dafür ist die Kritik an der deutschen Sparforderung umso harscher. So prangerte beispielhaft die Tageszeitung Le Monde am Tag des deutsch-französischen Treffens "die verkehrte Tugend des deutschen Vorbilds" an.

In dem gemeinsamen Vorhaben, auf das sich beide Länder geeinigt haben, bleibt nicht mehr viel von diesen französischen Vorstellungen. Wie schon 2007 beim Projekt der Mittelmeerunion ist es Angela Merkel noch einmal gelungen, den französischen Plan auszuhöhlen und ihn nach den Ansichten und Interessen Deutschlands umzugestalten.

Das heutige Schloss heißt zwar weiterhin "Wirtschaftsregierung", gemeint ist aber etwas anderes. Der Sieg, den Deutschland durch seine Hartnäckigkeit erreicht hat, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die deutsch-französischen - und somit auch die innereuropäischen - Divergenzen nicht verschwunden sind. Durch die Weiterentwicklung der Krise und insbesondere die Verschärfung der Situation in Spanien könnte der Streit bald wieder aufflammen.

Ist es wirklich ein Zufall, dass das französische Wort für Luftschlösser châteaux en Espagne lautet: "Schlösser in Spanien"?

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