Käßmann und Mixa:Wer zuletzt siegt

Todsünde, Laster und das öffentliche Dorf: Die Rücktritte von Margot Käßmann und Bischof Mixa zeigen auch, dass die Öffentlichkeit keine Parallelgesellschaften mehr duldet.

Gustav Seibt

Lassen wir die Kirchen einmal in ihren Dörfern. Bischof Mixa hat sein Bistum verloren. Sein Charakter als Priester und Bischof bleibt davon unberührt. Denn so wie die Taufe verwandeln auch die priesterlichen Weihen ihren Träger unwiderruflich. Ein Bischof bleibt nach kirchlicher Lehre ein Bischof bis ans Ende seiner Tage, so wie auch kein Getaufter dieses Sakrament je rückgängig machen kann - denn um Sakramente handelt es sich in beiden Fällen.

Man muss hinter den öffentlichen Behandlungen der jüngsten kirchlichen Rücktrittsfälle - Margot Käßmann hier, Walter Mixa dort - die kirchengeschichtlichen, konfessionellen und rechtlichen Unterschiede wahrnehmen, wenn man erfahren will, was sie für die Stellung der Kirchen in unserer Gesellschaft auf Dauer bedeuten können.

Mixas Ungehorsam

Was hat sich Bischof Mixa zuschulden kommen lassen, wenn zutrifft, was die nun bekannt gewordenen Akten vermuten lassen? Alkoholmissbrauch fällt in der katholischen Sündenlehre unter die "Völlerei", und diese ist eine der sieben Todsünden; im fortgesetzten Zustand der Alkoholabhängigkeit darf man von einem Laster sprechen. Der Übergriff gegen einen Mitpriester, der durch einen Dialog wie aus einem frühen Fassbinder-Film dokumentiert wird ("Bleib hier, ich brauche deine Liebe." - "Ich bin doch nicht schwul." - "Ich doch auch nicht." - Und so weiter) darf getrost als "Wollust" rubriziert werden, ebenfalls eine Todsünde.

Dass ein Amtsträger, der sich solcher Verfehlungen schuldig gemacht hat, seine Funktion nicht mehr ausfüllen sollte, ist eine juristische, ja politische Entscheidung diesseits sakramentaler Fragen. Denn auch als Patient in einer Klinik, als kurialer Bürobeamter oder als Ruheständler behält Mixa das untilgbare Prägemal, den character indelibis, den ihm seine Bischofsweihe verliehen hat.

So lässt sich der Vorgang um Mixa eigentlich in einer jahrhundertealten gewachsenen formalen Tradition aufschlüsseln, bei der die Öffentlichkeit und ihre schnell wechselnden Erregungen im Prinzip keine Rolle spielen. Den Verzicht auf ein Bistum zu akzeptieren oder einem Bischof seine Diözese zu entziehen, ist Sache des Papstes, der dafür in der Regel gute Gründe hat.

Dass sie in diesem Falle mit so vielen Einzelheiten öffentlich wurden, hat mit Walter Mixas Ungehorsam zu tun - er will sich nicht fügen, unterstellt Verschwörungen und Druckausübung. Also haben sich seine Gegner dafür entschieden, die Dinge so plastisch bekanntzumachen, dass Missverständnisse ausgeschlossen sind: Es ging nicht um "Watschen", auch nicht um haltlose Vorwürfe des Missbrauchs Minderjähriger, sondern um anderes, nicht minder Handfestes: luxuria und voluptas.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie der Fall bei Margot Käßmann liegt.

Der Sieg der Öffentlichkeit

Auch Margot Käßmann hat getrunken, und doch ist ihr Fall ganz anders gelagert. Zunächst einmal ist die einstige Bischöfin von Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland nie Trägerin eines Sakraments gewesen. Sie hat akademische Abschlüsse und wurde unter Gebeten in ihre Ämter eingeführt.

Im Übrigen hat sie Teil am Priestertum aller Gläubigen (oder Getauften), in dem das protestantische Bekenntnis die gleiche Unmittelbarkeit aller Christen zu Gott begreift. Es beruft sich dabei auf die Worte, die Gott durch Moses am Sinai im dritten Monat nach dem Auszug aus Ägypten zum Volk Israel sprechen ließ: "Und ihr sollt mir ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein." (Exodus 19, 6). Die Idee vom Gottesvolk wurde im Protestantismus zur Einebnung der priesterlichen Hierarchie gewendet.

Das Dorf der Kirche

Als Margot Käßmann von ihren Ämtern zurücktrat, hatte sie sich also nicht an einen Papst zu wenden, sondern an die Gemeinschaft der Gläubigen, sie musste keinen Brief nach Rom schreiben, sondern eine Pressekonferenz geben. Das hat sie jetzt durch ihr langes Interview mit dem Spiegel in ihrer Weise konsequent fortgesetzt.

Trotzdem überrascht die Mischung aus Nonchalance mit ausgestellter Skrupulosität, mit der diese Gläubige sich an ihr Publikum wendet. Jetzt, nachdem sie zurückgetreten ist, verlangt sie: "Man muss auch die Kirche im Dorf lassen." Ihre Alkoholfahrt beschreibt sie keineswegs als Sünde, sie macht sich den Begriff der bürgerlichen Gesetzgebung - "Fahrlässigkeit" - dafür zu eigen. Es war keine "Alkoholnacht", sondern kurz vor 23Uhr, am Ende eines geselligen Abends. Sie war schon gut und mit Glück nach Hause gekommen, als die Polizei ihr die Fahrzeugpapiere und einen Alkoholtest abverlangte.

Erst als der Vorgang öffentlich wurde, sagt Käßmann in aller Offenheit, war der Moment zum Rücktritt gekommen. Warum? Sie hätte nicht mehr glaubwürdig für ihre Anliegen - es sind soziale Anliegen, beispielsweise zugunsten von Hartz-IV-Empfängern - eintreten können; permanenter Spott der Medien wäre ihr sicher gewesen.

Margot Käßmann, die Bischöfin, argumentiert wie jeder Politiker, doch durch ihr entschiedenes und rasches Verhalten sucht sie den entscheidenden Unterschied: Sie klebt nicht an ihrem Amt, sie zieht mutig Konsequenzen. Der Trost, den sie sich zuspricht, gilt für jeden, der an Gott glaubt: Tiefer als in Gottes Hand kann man nicht fallen.

Aber die Vergebung, auf die Käßmann so unübersehbar hofft, kommt nicht von Gott, sondern von der Öffentlichkeit, die ihr 2630 Briefe und mehr als 12000 Mails geschrieben hat und die jetzt den Spiegel liest.

Auch Mixa fiel durch den nach den Missbrauchsfällen reißend gewordenen Strom der öffentlichen Meinung; auch die katholische Kirche glaubte, die Wege der Presse gehen zu müssen. Diese Ökumene wird am Ende dieser Geschichten vermutlich bleiben, und sie ist wahrhaft beunruhigend: Aus den vielen Dörfern mit ihren Kirchen ist das eine Dorf säkulare Öffentlichkeit geworden.

Moralische Sauberkeit

Aber darf die Öffentlichkeit sich dieses Sieges freuen, in dem alle ehrwürdigen Unterschiede zwischen konfessionellen Traditionen und Amtsverständnissen, überhaupt von Kirche und Welt verschwinden zugunsten einer medial vermittelten, durch Umfragewerte - wie ein "Popstar" darf Margot Käßmann sich fühlen, heißt es allenthalben, Walter Mixa dürfte so ziemlich das Gegenteil darstellen - gesicherten Alltagsmoral?

Die säkulare Gesellschaft steuert bei aller Individualisierung immer von Neuem eine Totalisierung an, die keine Binnenräume, keine Abweichungen, schon gar keine Parallelgesellschaften dulden will.

Wir wollen nicht ungeregelt lassen, was sich in Hinterhofmoscheen abspielt, wir müssen wissen, was unterm Schleier stattfindet, und schon gar nicht dürfen die Erziehungsanstalten nichtstaatlicher Träger ohne Kontrolle bleiben. Diese Kämpfe finden seit 1789 in den westlichen Gesellschaften in jeder Generation statt. Der Marxismus verstand sie noch als Effekt der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die, nach den Worten von Marx, "alles Stehende und Ständische" verdampfen lässt.

Zweihundert Jahre später sieht man, dass die eigentlichen Sieger am Ende immer die Presse und der Staat sind, vor allem dieser: Der unmittelbare Handlungsdruck im Fall Mixa entstand durch die Notwendigkeit, eine Staatsanwaltschaft einzuschalten. Gewiss ohne Absicht, aber deswegen nicht minder wirksam, trägt auch die so natürlich wirkende und viele so sympathisch berührende Selbsterklärung (um nicht von Selbstvermarktung zu sprechen) von Margot Käßmann zu diesem säkularen Trend bei.

Der letzte Sieger in einer Welt ohne Parallelgesellschaften aber wird der Staat sein. Der entscheidende Hebel, das alles besiegende Argument dafür sind nicht mehr die Funktionsimperative der Ökonomie, sondern ist die moralische Sauberkeit. Dass es zuletzt meist unschuldige Kinder waren, die das stärkste Motiv dafür darstellten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Motive austauschbar sind: Es kann auch mehr oder weniger Alkohol sein.

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