Fußball-WM: Otto Rehhagel:Es lebe der König

Griechenland scheitert bei der WM - und der große Otto Rehhagel wird wohl seine Karriere beenden. Bis zum Schluss bleibt er in der Trainergeneration Laptop ein beeindruckender Anachronist. Eine Eloge auf den Spielerversteher.

Jürgen Schmieder

Als Otto Rehhagel im Jahr 1995 seinen Posten beim FC Bayern antrat, da stellte er sich jedem Spieler persönlich vor. Irgendwann war Christian Ziege an der Reihe, der nun erwartete, dass ihm der neue Trainer sagen würde, er sei weiterhin auf der linken Außenbahn gesetzt, er müsse neue Laufwege einstudieren und das Zusammenspiel mit Zugang Jürgen Klinsmann lernen. "Christian", sagte Rehhagel, "Christian, wie geht es Ihrer Frau?" Eine kleine Frage nur - und doch kann man daraus auf die Arbeitsweise des Fußballtrainers Otto Rehhagel schließen.

Greece v Argentina: Group B - 2010 FIFA World Cup

Otto Rehhagel und Diego Maradona: zwei grundverschiedene Typen - und sich doch ähnlich.

(Foto: getty)

Fußballspiele werden heutzutage nicht mehr mit dem Fuß entschieden, auch nicht mit oder im Kopf, und seit Diego Maradonas Karriereende auch nicht mehr mit der Hand. Fußballspiele werden überhaupt nicht mehr auf dem Rasen gewonnen, sondern am Computer, auf dessen Festplatte alles gespeichert ist - vom idealen Winkel einer Flanke bis hin zu allen Spielsystemen, die jemals in der Geschichte des Fußballs gespielt wurden. Es gibt die Trainergeneration Laptop - und es gibt Otto Rehhagel. Und es entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, dass Rehhagel bei seinem wohl letzten Spiel als Trainer der griechischen Elf (und als Trainer überhaupt?) gegen das von Diego Maradona trainierte Argentinien antreten musste.

Maradona nämlich ist, bei aller Exzentrik, dem 22 Jahre älteren Rehhagel nicht so unähnlich, wenn es um den Umgang mit seinen Spielern geht. Freilich käme Rehhagel nicht auf die Idee, seinen Akteuren bei der Auswechslung ein Küsschen auf die Wange zu geben, doch gehört zum System Rehhagel der väterliche Umgang mit den Spielern. Wie Maradona weiß auch Rehhagel, wie er mit sensiblen Kickern umgehen muss - und so wie Maradonas derzeitiger Erfolg eher auf natürlicher Autorität basiert denn auf stundenlangen Analysen, so ist auch Rehhagel eher Spielerversteher denn Spieleversteher.

"Zuerst einmal ist Rehhagel mein Freund, erst dann ist er mein Trainer", sagt Mittelfeldspieler Georgios Karagounis. Das Wort Freund wird Rehhagel nicht so gerne hören, er sieht sich vielmehr als Vater, der sich auch um die private Situation seiner Spieler kümmert, ihnen Selbstbewusstsein einredet und eine Vertrauensbasis schafft. Er vertraut Spielern, die er lange kennt und gibt schwierigen Charakteren Freiräume.

Triumph und Kritik

Rehhagel ist keiner, der den einzelnen Spieler verbessert - er ist ein Trainer, der aus 23 Spielern eine bessere Mannschaft formt. Er schickt seinen Spielern keine E-Mails oder führt ihnen Powerpoint-Präsentationen vor. Rehhagels Festplatte befindet sich in Rehhagels Kopf - und darauf ist ausschließlich das System Rehhagel gespeichert. Der Trainer der griechischen Nationalelf stellt seine Mannschaft nicht auf, er baut sie zusammen aus dem vorgegebenen Spielerpool. "Bevor ich kam, hat jeder gemacht, was er wollte", sagte er im Jahr 2004 über die griechische Nationalelf. "Jetzt macht jeder, was er kann."

Otto Rehhagel

Otto Rehhagel beim Training der griechischen Elf.

(Foto: ap)

In diesem Jahr durfte Rehhagel den wohl größten Triumph seiner Karriere feiern - und das, obwohl er zuvor schon jeweils drei Mal deutscher Meister und Pokalsieger war und den Europapokal der Pokalsieger gewonnen hatte. Er wurde Europameister mit der griechischen Elf. Danach wurde er als erster Nichtgrieche zum "Griechen des Jahres" gewählt, er bekam den Beinamen "Rehakles", eine Heldenstatue in Athen und schließlich das Bundesverdienstkreuz.

Freilich gibt es auch Kritik am System Rehhagel. Er gilt als Souverän, der sich Verbesserungsvorschläge gerne anhört ("Jeder darf sagen, was er will!"), sie aber niemals annimmt ("Aber dann macht jeder, was ich sage!"). Kritiker straft er entweder mit Ignoranz oder mit lockeren Sprüchen wie bei der EM 2008, als ihn ein junger Journalist auf die Taktik ansprach: "Junger Mann, mit diesen Tricks können Sie mir nicht kommen. Sie waren noch gar nicht geboren, da wusste ich schon, was Sie denken." Er werde für Erfolg bezahlt, sagte er einmal, nicht für schöne Spiele - und er wusste auch, welche Folgen Misserfolg haben kann: "Wenn ich Spiele verliere, lassen die Leute an den Blumen, die sie mir zuwerfen, plötzlich die Töpfe dran."

Und hätte Rehhagel das Spiel gegen Argentinien nicht von der Trainerbank aus verfolgt, sondern vor dem Fernseher, dann hätte er wohl bei der Aussage von Béla Réthy ("Sie müssen offensiver spielen!") die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt: "Jetzt will der, dass wir gegen diese argentinische Elf modern nach vorne spielen - und dann ganz modern 7:0 verlieren." Diese griechische Elf, von der kein Spieler über das Prädikat "internationale Klasse" hinauskommt, hat sich am Ende doch achtbar geschlagen bei dieser WM. "Sie haben aus ihren Möglichkeiten alles rausgeholt", sagte Rehhagel nach der Partie, die er nach bewährtem Muster wieder mit Zementatis, Betonidis und Mauros bestritten hatte.

Wahrscheinlich wird König Otto nun abtreten. "Mit 50 bist du als Fußballtrainer reif für die Klapsmühle", hat Rehhagel einmal gesagt. Im August wird er 72 Jahre alt - und auch wenn er sich nicht zu seiner Zukunft äußern wollte ("Diese Frage beantworte ich nicht"), so gilt doch als wahrscheinlich, dass er sein Amt als Trainer der griechischen Elf abgeben wird. Rehhagel hat nationale und internationale Titel gewonnen, vor seinem wohl letzten Spiel ging er auf Diego Maradona zu. Er umarmte ihn, tätschelte ihn - und bestimmt hat er sich nach dem Befinden von Maradonas Frau Claudia erkundigt.

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