BGH-Urteil zu Sterbehilfe:Ein Recht auf den Tod

Der Rechtsanwalt Wolfgang Putz riet seiner Mandantin, ihre todkranke Mutter in Würde sterben zu lassen und den Schlauch zur Magensonde zu durchtrennen. Der Bundesgerichtshof hat ihn nun vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen.

Violetta Simon

Darf man bei Wachkoma-Patienten, wenn keine Aussicht auf Besserung besteht, die medizinische Versorgung abbrechen? Der Bundesgerichtshof sagt: ja. In dem Prozess um Grundsatzfragen der Sterbehilfe hat das Karlsruher Gericht den Rechtsanwalt Wolfgang Putz freigesprochen.

BGH verkündet Urteil zu  Grundsatzfragen der Sterbehilfe

Wolfgang Putz und seine Mandantin freuen sich über den Freispruch. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat in Grundsatzfragen der Sterbehilfe zugunsten des Anwalts entschieden.

(Foto: dpa)

Der Münchner war vom Landgericht Fulda wegen aktiver Sterbehilfe und versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten und einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt worden. Putz hatte im Dezember 2007 seiner Mandantin geraten, den Ernährungsschlauch durchzuschneiden, über den ihre Mutter versorgt wurde. Die Tochter folgte dem Rat des auf Palliativmedizin spezialisierten Anwalts und durchtrennte den Schlauch der Magensonde (Az.: 2 StR 454/09).

Die Heimleitung ging gegen die Maßnahme vor und bestand auf einer Fortsetzung der künstlichen Ernährung. Zwei Wochen später starb die Patientin dennoch - allerdings eines natürlichen Todes.

Die 76-Jährige hatte seit Oktober 2002 nach einer Hirnblutung im Wachkoma gelegen und wurde in einem Pflegeheim im hessischen Bad Hersfeld über eine Magensonde künstlich ernährt. Sie konnte weder sprechen noch sich auf andere Art und Weise ausdrücken. Eine Besserung ihres Gesundheitszustandes war nicht mehr zu erwarten.

Wunsch nach selbstbestimmtem Tod

Bevor sie jedoch ins Koma fiel, hatte die Patientin ihrer Tochter gegenüber ausdrücklich den Wunsch geäußert, im Falle einer schweren Krankheit weder über Jahre hinweg künstlich ernährt noch beatmet zu werden. Sämtliche lebenserhaltenden Maßnahmen sollten beendet werden, um ihr ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Leider hatte Erika K. ihren Wunsch nie schriftlich verfügt, und das Pflegeheim lehnte es strikt ab, die Ernährung per Magensonde abzusetzen.

Der Anwalt hatte gegen seine Verurteilung mit der Begründung argumentiert, dass er mit dem Durchschneiden der Magensonde und dem Beenden der medizinischen Behandlung nichts anderes als den Willen der Patientin habe umsetzen wollen. Vielmehr sei es das Pflegepersonal, das sich der Körperverletzung schuldig gemacht habe, indem es Erika K. gegen ihren Willen künstlich ernährt habe.

Der Begriff "Sterbehilfe" bezeichnet alle Handlungen, die den Sterbeprozess unterstützen - von passiver, indirekter und aktiver Sterbehilfe bis hin zu Hilfe zur Selbsttötung. Nach dem seit 1. September 2009 geltenden Patientenverfügungsgesetz müssen Arzt und Betreuer den mutmaßlichen Willen des Kranken ermitteln, wenn keine Erklärung vorliegt. Wenn das nicht gelingt, wird ein Vormundschaftsgericht eingeschaltet.

Auch wenn die Meinungen beim Thema Sterbehilfe auseinandergehen - die Entscheidung des BGH verschafft Medizinern zumindest Klarheit darüber, nach welchen Kriterien sie bei bewusstlosen Patienten entscheiden, ob eine Behandlung abgebrochen werden kann, wenn keine Aussicht auf Besserung besteht.

Die Unsicherheit jedes Einzelnen und die Angst, selbst in diese Situation zu kommen, kann das Urteil uns nicht nehmen. In unserer von Technik und Fortschritt bestimmten Gesellschaft ist kein Platz für den Tod. Solange wir das Sterben in Pflegeheime verlegen, müssen wir hinnehmen, dass andere darüber mitbestimmen, wann und wie unsere Angehörigen - und auch wir selbst - dieses Leben beenden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: