Nachtkritik: Hart, aber fair:Wer Zwetschgenkuchen mit Pfingsten verwechselt

Die präsidiale Pannenwahl des Christian Wulff zeigt die Grenzen der Merkel-Regierung. Bei TV-Moderator Plasberg forschte die politische Klasse über ihr eigenes Versagen.

Alexander Kissler

Politik gilt als Kunst des Möglichen. Insofern war die Bundespräsidentenwahl eine hoch politische Veranstaltung. Sie hat gezeigt, was alles möglich ist.

Wahl des Bundespraesidenten

Er geht einen schweren Gang: Der frisch gewählte Bundespräsident Christian Wulff (CDU).

(Foto: ddp)

Die schwierige Kür des Christian Wulff hat gezeigt, dass Nöte sich verschlimmern können, ohne in die Katastrophe abzudriften, und dass Hoffnungen lange reifen können, ehe sie doch zerplatzen. Warum aber ist alles so gekommen? Wer hat den gordischen Knoten geknüpft, wer hat ihn im dritten Wahlgang am Ende von neuneinhalb Stunden durchhauen? Und wer hat schließlich über wen triumphiert?

Nimmt man die Antworten zum Maßstab, die eine bunte Runde bei Frank Plasberg 50 Minuten nach Wulffs matter Dankesrede lieferte, dann ist Politik auch Alchimistenkunst.

Bei Hart, aber fair - extra in der ARD rangen fünf Politiker um das verwandelnde Wort. Die Versuchsanordnung war prekär: Moderator Plasberg sprach eingangs vom Misstrauen, das der "politischen Klasse" entgegenschlage. Selbige gab sich dann auch alle Mühe, zerknirscht zu wirken.

"Sie finden einen von uns zum Kotzen"

Joachim Gaucks Popularität, erklärte die ehemalige Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD), liege auch daran, dass viele junge Menschen "einen von uns zum Kotzen finden". Leider bestand die Runde nur aus solchen "von uns", aus gestandenen Politikern. Die Kunst, das eigene Tun zu rechtfertigen und die eigene Profession zu kritisieren, beherrscht nicht jeder. Es blieb ein Monolog der "politischen Klasse".

Schnell schälte sich Parteiliches heraus. Links vom Betrachter saßen CDU-Mann Lothar Späth und FDP-Doyen Hermann Otto Solms. Sie gefielen sich in der Rolle von Statler und Waldorf. Die beiden feixten und tuschelten immer dann miteinander, wenn am anderen Ende des Studiotischs die Verbalgrätsche zum Einsatz kam.

Dort hatte die Regie Klaus Ernst von der Linkspartei platziert und Katrin Göring-Eckardt, Bündnisgrüne und zugleich Präses der Synode der Evangelischen Kirche. Die Politikerin pries Joachim Gaucks Einsatz für Demokratie und Freiheit, während Wulff vor allem mit seiner politischen Karriere habe punkten können. Nun bestehe für den neuen Präsidenten die Herausforderung darin, die "Entfremdung zwischen der Parteienpolitik und der Bevölkerung" in Vertrauen zu verwandeln - ganz nach Alchimistenart eben.

Klaus Ernst, direkt neben ihr, nahm der Vorrednerin den hohen Ton nicht ab. "Ihnen ging es doch nur darum, die Regierung zu ärgern", blaffte er die Vizepräsidentin des Bundestages an. Wenn man wirklich einen Gegenkandidaten mit Siegesaussichten hätte haben wollen, wäre das zeitige Gespräch mit seiner Partei unumgänglich gewesen. Beleidigt sein, belehrte ihn daraufhin Göring-Eckardt, sei keine politische Kategorie. Die Linkspartei habe sich im dritten Wahlgang, zu dem sie 121 Enthaltungen beisteuerte, wieder als "Komplettopposition" präsentiert.

"Herr Gabriel hat's versemmelt"

Aber nein doch, keilte Ernst hastig zurück, nicht die Partei "Die Linke", sondern "Herr Gabriel hat's versemmelt." Der SPD-Chef habe als Oppositionsführer versagt, weil er sich nicht um einen rot-rot-grünen Konsenskandidaten bemühte. Das brachte wiederum Göring-Eckardt lautstark auf die Palme: "Stimmen zu dealen", sei nicht der Ehrgeiz von SPD und Grünen.

Ob solcher Grabenkämpfe beim politischen Gegner wuchs das Amüsement von Solms und Späth. Der einstige Ministerpräsident von Baden-Württemberg wiederholte die koalitionäre Schutzbehauptung, Wulff sei "kein Funktionsmann" - die espritarme, durchaus funktionale Antrittsrede des Gewählten strafte ihn Lügen. Späth war es auch, der Wulffs Eignung mit dessen Fähigkeit begründete, mit den Parteien "große Ausgleichsverhandlungen" führen zu können, etwa über die Zulässigkeit von Gesetzen oder die allgemeinen finanzpolitischen Vorgaben.

Wulff soll also, darf man schließen, als Politiker den Politikern wie auch dem Volk die politischen Entscheidungen erklären, als erster Dolmetscher des Staates. Und natürlich soll der Präsident, so Späth wiederum alchimistisch gedacht, Vertrauen gewinnen, Misstrauen abbauen. Das Zauberrezept hierfür wurde nicht enthüllt.

FDP-Mann Solms, der leiseste der fünf Politprofis, sprach einen tiefen Satz aus: Wulffs Wahl sei "psychologisch ungeheuer wichtig" für die Koalition. Nun könne die "Richtungswende" gelingen "hin zum Realistischeren, Praktischen, Vernünftigen". Späth hatte kurz zuvor noch appelliert, "abzuwägen und nicht Pfingsten mit Zwetschgenkuchen zu vergleichen". So sagt man es wohl in Schwaben, wenn Äpfel und Birnen in einen Topf geworfen werden.

Aber tat Solms nun nicht genau das? Er deutete die schleppende Präsidentenwahl sozialtherapeutisch, sah in ihr einen Weckruf für eine streitfixierte Koalition. Und hat diese in Solms' Augen bisher durch die Bank unrealistisch, unpraktisch, unvernünftig vor sich hin gewerkelt? Ein solcher Totalverriss ist in normalen Zeiten der Opposition vorbehalten.

Normale Zeiten aber sind lange schon vorbei. SPD und Grüne wundern sich, dass die sozialistische Linkspartei keinen Kandidaten mitträgt, dem alles Sozialistische zuwider ist. Die Linkspartei wundert sich, dass Joachim Gauck beliebt ist, obwohl er am angeblich mehrheitsfähigen linken Programm kein gutes Haar lässt. Und CDU und FDP wundern sich, dass man die Nominierung Wulffs für eine Verzweiflungstat hält, während sie selbst einen sehr verzweifelten Eindruck machen. Da ist es dann wahrlich kein Wunder, dass das Volk sich abwendet von der "politischen Klasse".

Christian Wulff geht einen schweren Gang.

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