Mexiko im Drogenkrieg:Mord kurz vorm Urnengang

Vor den Regionalwahlen in Mexiko zeigen Drogenkartelle mit einem Mord an einem Politiker ihre Macht. Die Parteien streiten nun über die richtige Strategie im Drogenkrieg.

Peter Burghardt

Am Sonntag soll trotz allem gewählt werden in zwölf mexikanischen Bundesstaaten. Aber Rodolfo Torre Cantú kann nicht mehr gewinnen. Der Favorit der Revolutionspartei PRI für das Gouverneursamt in der Region Tamaulipas ist am Dienstag zu Grabe getragen worden. Unbekannte hatten ihn am Montag auf dem Weg zum Flughafen von Ciudad Victoria erschossen. Sein Konvoi geriet in einen Hinterhalt. Neben dem Politiker starben acht seiner Mitarbeiter.

Mexiko im Drogenkrieg: Ein Staat im permanenten Ausnahmezustand: Armee und Bundespolizei stehen an der Spitze in Mexikos Drogenkrieg.

Ein Staat im permanenten Ausnahmezustand: Armee und Bundespolizei stehen an der Spitze in Mexikos Drogenkrieg.

(Foto: AP)

Zeugen gab es - wie üblich - keine, doch niemand zweifelt daran, dass die Auftragsmörder aus den Drogenkartellen stammen. Mehr als 22.000 Menschen haben seit 2006 in Mexikos Schlacht um Kokain, Marihuana und Pillen ihr Leben verloren. Nach dem Tod von Torre Cantú fragen sich viele Mexikaner nun: Verliert der Staat endgültig die Kontrolle? Bestimmen Killer den Wahlkampf?

Cantú wollte gegen Mafia kämpfen

Tamaulipas liegt im Süden von Texas und ist eines der Transitgebiete für den Rauschgiftschmuggel Richtung USA. Um Routen und Märkte bekriegen sich dort eine Bande namens Cartel del Golfo, das Golfkartell, und ihre Herausforderer, die sogenannten Zetas. Die Zetas stammen aus einer Eliteeinheit des Militärs und waren zuvor die Privatarmee des Golfkartells. Die Täter blockierten der Kolonne von Torre Cantú die Fahrbahn. Von den vielen Sicherheitskräften war niemand in Sicht. Das Attentat kurz vor der Wahl gilt jetzt als Warnung - als Zeichen, das sich niemand mehr sicher fühlen darf. Torre Cantú hatte versprochen, gegen die Mafia vorzugehen.

Das Verbrechen erinnert an Kolumbien und an Mexiko 1994, als in Tijuana der damalige Präsidentschaftsbewerber Luis Donaldo Colosio ermordet wurde. Seit Monaten folgt eine Schreckensmeldung der nächsten. Im Mai wurde der frühere Spitzenkandidat der Regierungspartei PAN verschleppt, Diego Fernández de Cevallos. Er ist seit fast 50 Tagen verschwunden.

Mexikanische Mörder mit amerikanischen Waffen

Zu Wochenbeginn töteten Kugeln aus Schnellfeuergewehren den populären Sänger Sergio Vega alias El Shaka. Er war mit Liedern über die Drogenszene und die Liebe bekanntgeworden und hatte kurz vor seiner Ermordung noch Meldungen über seinen Tod dementiert. Außerdem brachten Pistoleros in einer Entzugsklinik neun Patienten um. Solcher Horror wird nahezu täglich gemeldet. Auch Washington ist entsetzt, trägt mit seinen laxen Waffengesetzen allerdings wenig zur Befriedung bei: Viele Schusswaffen in Mexiko stammen aus den USA.

60.000 Soldaten im Dorgenkrieg

Mexikos Staatschef Felipe Calderón kämpft um seinen Ruf - und um den der Nation. Zweimal binnen 24 Stunden wandte sich der Präsident in seinem Amtssitz Los Pinos von Mexiko-Stadt mit dramatischen Reden an das Volk. "Heute wurde uns bewiesen, dass das organisierte Verbrechen eine permanente Bedrohung ist und versucht, seine Regeln durchzusetzen", warnte er und bat um Einheit: "Ich rufe alle politischen Kräfte dazu auf, sich in diesen delikaten Momenten zur Verteidigung der Institutionen zu vereinen."

Doch die Oppositionspartei PRI, die von Calderóns Unternehmerpartei PAN 2000 nach 71 Jahren an der Macht verdrängt worden war, versagt ihm die Gefolgschaft. Sie will bald wieder die Kontrolle übernehmen. "Demokratie, Rechtsstaat und Frieden sind in Gefahr", sagt die PRI-Parlamentsführerin Josefina Vázquez. Ihre Partei macht die Strategie des Präsidenten für die Gewalt verantwortlich; die PRI hatte die Kokainkartelle zuvor gewähren lassen. Der Konservative Calderón schickte nach seinem umstrittenen Wahlsieg 2006 etwa 60.000 Soldaten und Polizisten gegen die Drogengangs auf die Straßen, Tausende Verdächtige wurden festgenommen. Außerdem sicherten die USA Militärhilfe zu. Der Terror aber wird immer schlimmer. Es wird gemordet, gedroht, entführt, bestochen. Und 95 Prozent der Taten bleiben ungesühnt.

"Komplizenschaft zwischen Politik und Kartellen"

Die Kritik an Calderóns Taktik nimmt zu. Viele Kommentatoren bezweifeln nach dem Attentat auf Torre Cantú, dass unter solchen Umständen gewählt werden kann. "Die Wahlen verlieren ihren Sinn mit dem schmutzigen Geld, das sie finanziert", findet die Zeitung Reforma. Es gebe "offensichtlich eine klare Komplizenschaft zwischen Politikern und Kartellen", über Tamaulipas gehe das weit hinaus. "Die Stimme des Narco", steht über dem Leitartikel; die Narcos, das sind die Drogendealer. "Staatskrise", klagt das Blatt El Universal und schreibt von "Wahlen der Angst". Auch Präsident Calderón gab kürzlich zu, dass "Plata y Plomo" entscheidend seien, Silber und Blei, also Geld und Kugeln.

Viele Städte in Krisenprovinzen wie Chihuahua mit der Mord-Hochburg Ciudad Juárez, Durango und Sinaloa finden kaum mehr Bürgermeister. Wahlkontrolleure geben zu Tausenden auf. Polizisten laufen zu den Kriminellen über. In Tamaulipas herrscht in Städten wie Tampico und Reynosa Panik. Die PRI allerdings will an die Macht. Sie will trotz allem mit einem Torre Cantú den Posten des Gouverneurs erobern: Der Ersatzmann heißt Egídio Torre Cantú und ist der Bruder von Rodolfo Torre Cantú, der gerade erschossen wurde.

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