Im Kino: When you're strange:Junger Gott an Zapfsäule

Jim Morrison lebt - zumindest in der neuen Musikdokumentation von Tom DiCillo. Wer immer schon mal ein Doors-Konzert erleben wollte: Näher wird er nicht herankommen.

Anke Sterneborg

Sieht dieser Typ nur aus wie Jim Morrison, oder ist er es tatsächlich? Man weiß ja nie, ob da nicht jemand wieder ein Double angeheuert hat, gefilmt im gefälschten Look alten Dokumentarmaterials, nachgestellt aus heutiger Sicht. Unter den Locken und dem wuchernden Bart ist nicht viel zu erkennen, doch da flackert immer wieder etwas Authentisches auf: in den Bewegungen, in den Blicken, diese unverwechselbare Mischung aus Aufmüpfigkeit und Scheu...

Kinostarts - 'The Doors - When Youre Strange'

Er fährt im schwarzen Shelby Mustang durchs Land, er tankt an einer roten Zapfsäule, er ist es wirklich: Jim Morrison - hier auf einem undatierten Archivbild.

(Foto: dpa)

Mit Outtakes aus einem 1969 gedrehten, aber nie vollendeten Film beginnt "The Doors - When you're strange" von Tom DiCillo. Und ja, es ist der echte Jim Morrison, der hier als Hippiecowboy vor der Kamera seines Freundes und Filmschulkollegen Paul Ferrara steht, in "HWY: An American Pastoral". Er fährt im schwarzen Shelby Mustang durchs Land, er tankt an einer roten Zapfsäule, er schenkt einem sterbenden Coyoten am Straßenrand eine Geste der Zärtlichkeit: Ja, er muss es sein...

Das Lebensgefühl der sechziger Jahre

Diese Szenen sind der Schatz einer Dokumentation, die auf alle sterilen Rückblicke von Experten und Zeitzeugen verzichtet. Stattdessen: eine Zeitreise, mitten hinein ins aufgeheizte Lebensgefühl der sechziger Jahre, als die Wut auf den Vietnamkrieg, die Fassungslosigkeit über die Morde an John F Kennedy und Martin Luther King und die Unruhen der Bürgerrechtsbewegung kulminierten. "Ein massives kulturelles Erdbeben erschüttert das Land", kommentiert Johnny Depp aus dem Off, "und aus den Rissen kommen die Doors". Diese neue Band traf den Nerv der Zeit, mit ihrem Sound, ihrer todestrunkenen und liebessüchtigen Songlyrik, die von Rimbaud und Blake inspiriert war, mit Sprechgesang und delirierenden Orgelklängen.

Ein Stück Vergangenheit als Gegenwart. Nicht der Mythos. Nicht die Legende. Und kein nostalgischer Blick. Stattdessen stürzt sich der Regisseur DiCillo in seinem ersten Dokumentarfilm ganz unmittelbar in die große Umbruchszeit der Sixties. Er arbeitet ausschließlich mit historischen Aufnahmen - von öffentlichen Auftritten, Bandproben und Plattensessions, mit Newsreels und Photos.

Ein rebellischer Geist

Als einzige, dezent ordnende Instanz in dieser Materialfülle ertönt die lässig sonore Stimme von Johnny Depp, der hier zum Paten der alten Gegenkultur-Träume wird. Und der New Yorker Independentfilmer DiCillo, der die ewigen Rätsel von Kunst und Ruhm schon in Spielfilmen wie "Living in Oblivion" oder "Johnny Suede" erforscht hat, ist genau der Richtige für diese Musikdokumentation, denn auch er versteht etwas vom Anders- und Seltsamsein.

Und man kann ihm glauben, wie inspirierend der rebellische Geist der Doors für ihn war: Bis heute haben sie keinen ihrer millionenfach verkauften Songs für die Werbung freigegeben, und als Ed Sullivan seinerzeit bat, doch bitte das kleine Wörtchen Higher in "Light my Fire" fürs amerikanische Familienfernsehen gegen etwas weniger Drogenumnebeltes auszuwechseln, willigte Jim Morrison ein - nur um es live umso deutlicher auszusprechen.

Bei aller unvermeidlichen Konzentration auf Morrison schafft DiCillo auch Raum für die anderen Bandmitglieder Densmore, Krieger und Manzarek, die den unverwechselbaren Sound der Doors mit ihren sehr speziellen Vorlieben für Jazz, Blues, Flamenco und Bach prägten, und auch für die wichtige Rolle der Produzenten Paul Rothchild und Bruce Botnick. Bei den Aufnahmen legendärer Songs, von "Light My Fire" bis "People are Strange", ist man so nah dabei, dass Oliver Stones 1991 entstandene Spielfilmversion dagegen reichlich exaltiert, lächerlich und künstlich wirkt.

Und wenn Jim Morrison am Ende des Films, in den wiedergefundenen Szenen aus "HWY: An American Pastoral", hinaus in die Weite der amerikanischen Landschaft fährt, während im Autoradio die Meldung von seinem Tod verkündet wird - dann kann man sich gut vorstellen, dass er tatsächlich überlebt hat, und nur irgendwann einfach verschwinden wollte.

Regie und Buch: Tom DiCillo. Kamera: Paul Ferrara. Schnitt: Mickey Blithe. Mit Jim Morrison, John Densmore, Robby Krieger, Ray Manzarek. Verleih: Kinowelt. 86 Minuten.

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