Kohlendioxid:Neues vom Atem der Natur

Internationale Forscherteams haben herausgefunden, wie viel CO2 Pflanzen weltweit jährlich aufnehmen - und was passiert, wenn die Erde sich erwärmt.

Christopher Schrader

Wäre Kohlendioxid ein exotischer Giftstoff, hätten es Klimaforscher leicht. Sie könnten ihn messen, die Politiker ihn regulieren, fertig. Tatsächlich aber ist das Gas, das als Klimakiller in Verruf geraten ist, für das Leben auf der Erde unverzichtbar. Es hält den Planeten angenehm temperiert und dient der Pflanzenwelt als Rohstoff für den Aufbau von Biomasse.

Abholzung im Amazonasgebiet

Durch das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle und das Abholzen von Regenwäldern hat der Mensch allein 2008 etwa 36 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre gepustet.

(Foto: dpa)

Die Natur hat das Gas in der Atmosphäre jahrtausendelang in Kreislaufprozessen reguliert - erst seit die Menschheit große Mengen CO2 aus Kohle-, Öl- und Gasvorkommen freisetzt, ist die Balance gestört.

Die enge Kopplung zwischen der belebten Natur auf den Kontinenten und der Atmosphäre erschwert den Klimaforschern den Blick in die Zukunft, wenn sie ergründen, was das zusätzliche Kohlendioxid anrichtet.

Zwei internationale Forschergruppen, jeweils unter Führung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie (MPI) in Jena, haben dazu wichtige Zahlen vorgelegt. Die Forscher haben Daten von 60 Messtürmen aus vielen Ländern und verschiedenen Ökosystemen ausgewertet und ihre Erkenntnisse am Montag in Turin vorgestellt (Science, online).

Die erste Zahl betrifft die Menge an Kohlendioxid, die Pflanzen pro Jahr bei der Photosynthese aufnehmen. Es sind 450 Milliarden Tonnen, etwa ein Siebtel der Gesamtmenge in der Atmosphäre.

Fast 60 Prozent davon nehmen die Wälder und Savannen der Tropen auf, elf Prozent die Felder für die Nahrungsmittelproduktion. Verglichen dazu mutet der menschliche Beitrag zunächst klein an: Durch das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle und das Abholzen von Regenwäldern setzten die Völker der Welt 2008 gut 36 Milliarden Tonnen CO2 frei.

Der Unterschied ist nur: Das vom Menschen freigesetzte Treibhausgas war vorher seit langer Zeit fest gebunden und bleibt nun zum großen Anteil in der Atmosphäre oder den Ozeanen, die Natur hingegen bewegt ihre großen Mengen Kohlendioxid in Kreisläufen.

Fast die ganzen 450 Milliarden Tonnen CO2 werden nämlich wieder frei, wenn die Pflanzen das Gas vor allem nachts wieder ausatmen, wenn Blätter im Herbst fallen und verrotten, wenn alte Bäume stürzen und von Käfern zerfressen werden, wenn Mikroorganismen im Boden Nahrung verdauen oder nach Gewittern Feuer ausbrechen. Auf diese Prozesse - mit Ausnahme der Waldbrände - bezieht sich die zweite wichtige Zahl. Die Forscher haben gemessen, wie sich die Menge von freigesetzten CO2 verändert, wenn die Temperaturen schwanken.

Eine Erwärmung um zehn Grad steigert die Emission demnach um 40 Prozent, sagen sie. Das ist deutlich weniger als bisher oft vermutet; eine Verdopplung bis Vervierfachung war in der Diskussion. Und offenbar gilt von der kalten Tundra bis in den tropischen Regenwald der gleiche niedrige Faktor.

Unrealistische Szenarien

Das dämpft Befürchtungen, die Erderwärmung könne sich selbst rasant beschleunigen, weil mit steigenden Gradzahlen die Wälder und Savannen schlagartig mehr Kohlendioxid freisetzen. Bisher nämlich nimmt die belebte Natur Jahr für Jahr einen Teil der vom Menschen freigesetzten Treibhausgase auf und speichert ihn, puffert also den Klimaeffekt der Millionen Autos und Fabriken ab. Wie zuverlässig dieser Effekt ist, wussten Forscher bisher aber nicht genau.

"Besonders alarmistische Szenarien für die Rückkopplung von Erderwärmung und Ökosystematmung erweisen sich als unrealistisch", sagt jetzt Markus Reichstein vom MPI. Allerdings ändere das nichts an den Projektionen des Weltklimarates über die Temperaturzunahme, fügt er hinzu. "Diese Rückkopplungseffekte sind im jüngsten IPCC-Report von 2007 noch gar nicht berücksichtigt gewesen."

"Die ganze Forschergemeinde hat 20 Jahre darauf hingearbeitet, und jetzt kommen die Arbeiten endlich heraus", sagt Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dessen Arbeitsgruppe an einer der Studien am Rand beteiligt war. "Es ist extrem bedeutsam, dass diese wichtigen Größen nun mit einer guten Datenbasis bestimmt wurden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: