Carlos Valderrama im Interview:"Die Spieler sind Geiseln des Geldes"

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Kolumbiens Alt-Internationaler Carlos Valderrama über ängstliche Trainer, den neuen Stil der Deutschen, das Niveau bei dieser WM - und Béla Réthys Klobürsten-Vergleich.

Javier Cáceres

Carlos Alberto Valderrama Palacio, 48, gilt als bester Fußballer, den Kolumbien je hervorgebracht hat. Selbst zu den großen Zeiten des Brasilianers Zico und des Argentiniers Diego Maradona, schaffte es der Mittelfeldspieler zweimal, zu Südamerikas Fußballer des Jahres gewählt zu werden (1987 und 1993). Valderrama bestritt 111 Länderspiele und nahm an drei Weltmeisterschaften teil (1990, '94, '98). In Südafrika weilte er als interessierter Zuschauer.

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SZ: Herr Valderrama, sagt Ihnen der Name Béla Réthy etwas?

Carlos Valderrama: Nein. Wer soll das sein?

SZ: Ein deutscher Fernsehreporter, der in jeder Zitatensammlung auftaucht, weil er ... - aber nicht sauer werden!

Valderrama: Ich? Sauer? Dafür bin ich viel zu alt.

SZ: Also gut: Weil er live sagte: "Und der, der so aussieht wie eine Klobürste, das ist Valderrama."

Valderrama: Hehehe..., das wusste ich nicht. Nie gehört.

SZ: Was man in jedem Fall sagen kann: Einen Spieler mit einer ähnlich verwegenen Frisur hat die Fußballwelt nicht mehr gesehen.

Valderrama: Nein. Da ist wirklich keiner nachgewachsen.

SZ: Sie waren ein Spieler, der nicht durch seine Physis bestach, sondern eher die Pause kultivierte, Tempi markierte, präzise Pässe gab, im Laufe einer ganzen Karriere nie einen falschen Pass spielte. Sehen Sie noch Fußballer, die Ihnen ähneln?

Valderrama: Nein. Diese Art, das Spiel zu begreifen, ist vorbei. Es gibt keine Valderramas mehr.

SZ: Woran liegt das?

Valderrama: Die Trainer haben sie verschwinden lassen. Sie wollen keine Spieler mehr mit dieser Qualität. Sie wollen Spieler, die rennen, die physisch stark sind. Und nicht Spieler, die dem Spiel Zeit zum Luftholen geben und es durch die Macht des Gedankens beschleunigen, statt durch Muskeln.

SZ: Was bedeutet das für die Entwicklung des Fußballs?

Valderrama: Wir haben das bei dieser WM gesehen: Der Fußball tendiert zu immer mehr Defensive. Wir haben offensiv kaum etwas Neues gesehen. Mir fehlen Trainer, die mutig sind. Es wird zu sehr daran gedacht, nicht zu verlieren.

SZ: Der frühere brasilianische Weltmeister Tostao sagte sinngemäß, der Fußball leide unter einer Eindimensionalität: Alle Trainer würden das gleiche Modell imitieren. Stimmen Sie dem zu?

Valderrama: Absolut. Das Problem ist aber, dass sie defensive Denkweisen kopieren. Warum adaptieren sie nicht offensive Ideen? Der FC Barcelona hat letztes Jahr alles gewonnen. Mit offensivem Fußball. Jetzt hat Mourinho mit Inter drei Pokale gewonnen, indem er den Akzent auf die Defensive legt, und alle machen es ihm nach. Ich frage mich: Warum?

SZ: Weil zu viel Angst vorherrscht?

Valderrama: Ja. Furcht, die das Geld verursacht. Die Trainer haben zu viel Angst, ihren Job zu verlieren. Aber auch die Spieler sind Geiseln des Geldes. Weil sie ihre Plätze in den Mannschaften nicht verlieren wollen, geben sie den Anforderungen der Trainer nach. Es fehlen Persönlichkeiten.

SZ: Warum werden Sie nicht Trainer?

Valderrama: Ich war lange genug in Trainingslagern. Die haben mich immer umgebracht. Jahrelang eingeschlossen zu sein - es reicht. Außerdem hat Kolumbien schon einen Nationaltrainer. Die brauchen mich nicht.

SZ: Vor ein paar Tagen noch waren alle davon überzeugt, dass bei der WM die Weltordnung im Fußball erneuert worden ist, weil Südamerika das beste Resultat seiner Geschichte übertroffen hatte. Nun wird es keinen südamerikanischen Finalisten geben. Müssen all die Analytiker, die Lobgesänge auf Südamerika schrieben, ihre Thesen zusammenknüllen und aufessen?

Valderrama: Nein. Ich denke, Südamerika hat eine sehr gute WM gespielt. Fünf Mannschaften im Achtelfinale halte ich für sensationell.

SZ: Hat Brasilien nicht enttäuscht?

Valderrama: Nein. Mich hat nur überrascht, dass sie gegen die Niederlande das Spiel verloren haben. Die hätten ja zur Halbzeit 3:0 führen müssen - unglaublich! Dann haben sie erst bei einem Freistoß geschlafen und sind später auf einen zwanzig Jahre alten Trick hereingefallen: Eine Ecke am ersten Pfosten zu verlängern - uralt!

SZ: Sie sind ein Freund Maradonas...

Valderrama: ... eher ein guter Bekannter. Aber ein bedingungsloser Bewunderer seiner Fußballkunst.

SZ: Sind Sie denn hier in Südafrika auch zu einem Bewunderer seiner Trainerkunst geworden?

Valderrama: Er hat ganz gut angefangen. Dann fielen wichtige Leute aus, wie Abwehrspieler Walter Samuel und der Mittelfeldspieler Juan Sebastián Verón. Den hätte er dringend gebraucht. Sicher wird Diego als Trainer noch dazulernen müssen. Aber er fängt ja gerade erst an. Man muss ihm Zeit geben. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Argentiniens Problem war, auf Deutschland getroffen zu sein. Das war ein diskussionsloser Sieg.

SZ: Sie haben bei der WM 1990 gegen Deutschland gespielt.

Valderrama: Ja, 1:1. Wir waren die einzige Mannschaft, die dem späteren Weltmeister damals einen Punkt abgenommen hat! Das war für uns eine große Befriedigung. Auch wenn wir eigentlich hätten gewinnen müssen, bei den Chancen, die wir hatten.

SZ: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen jener deutschen Mannschaft und derjenigen, die nun bei der WM durch einen neuen Stil überrascht hat?

Valderrama: Sie haben jetzt mehr Technik. Sie spielen in meinen Augen sehr gut Fußball mit ihren Außenverteidigern, die nach vorne gehen, ihren defensiven Mittelfeldspielern, die nicht nur den Ball erobern, sondern auch das Spiel begleiten. Es ist eine Mannschaft, die offensiv und defensiv gut arbeitet und in Podolski, Özil und Klose Spieler hat, die eine gute individuelle Technik haben.

SZ: Welcher andere Spieler hat sie überrascht?

Valderrama: Cristiano Ronaldo, Wayne Rooney - sie alle sind viel schuldig geblieben, ihren Ländern, aber auch den Fans gegenüber. Lionel Messi hat ganz gut angefangen, aber dann hat er nachgelassen, als die Mannschaft ihn am meisten brauchte, in den letzten beiden Spielen. Und neue Stars hat es hier nicht gegeben. Außer, wie gesagt, Özil. Er hat enorm viel Qualität. Er ist der Spieler der WM, der am ehesten anders ist, eigene Sachen macht. Oder Müller aus Deutschland. Und Honda, der Japaner. Aber sonst hat mich niemand überzeugt. Es war eine eher schwache WM.

© SZ vom 08.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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