Ole von Beust kritisiert Merkel:"Auch mal einen Minister rausschmeißen"

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust verlangt von der Kanzlerin mehr Führungsstärke. Er hofft auf höhere Steuern für die Reichen und wünscht sich hanseatische Zurückhaltung.

Jens Schneider

In seiner dritten Amtszeit muss Hamburgs erster Bürgermeister mehrere Großprojekte durchbringen, die nicht nur auf Gegenliebe stoßen - die große Schulreform ist eines davon. Trotz allem weiß Ole von Beust (CDU) aber: Seine Partei steht hinter ihm. Ob er noch einmal für das höchste Amt im Stadtstaat kandidiert, lässt er dennoch offen.

Von Beust und Berghoff im Rosengarten

Ole von Beust ist ein Verfechter der Schulreform: "Wir können es uns nicht leisten, dass zehn Prozent die Schule ohne Abschluss verlassen."

(Foto: dpa)

SZ: Herr Bürgermeister, in Hamburg sorgt die Frage nach Ihrer Zukunft für Unruhe. Gerade sagte mir wieder jemand aus der CDU: Ole von Beust tritt nach dem Volksentscheid zurück.

Ole von Beust: (lacht) Ein Prophet.

SZ: Und?

Beust: Bei Propheten soll man immer skeptisch sein.

SZ: Sie gelten als amtsmüde.

Beust: Wer die Hamburger Politik verfolgt, sieht, dass ich mich mit der Schulsenatorin Christa Goetsch wie sonst kaum ein anderer für die Schulreform und das längere gemeinsame Lernen einsetze. Er kann nicht übersehen, dass wir einen Haushalt vorbereiten mit sehr schmerzhaften Kürzungen, die den Bürgern wehtun werden. Mit Verlaub, wer amtsmüde ist, der tut sich das nicht an.

SZ: Also gibt es in diesem Jahr keinen Bürgermeister-Wechsel?

Beust: Ich will mich jetzt nicht festlegen, wann ich über meine Zukunft entscheide. Ich schließe auch nicht aus, dass ich noch einmal zur Wahl antrete. Aber das hat mit dem Volksentscheid über die Schulreform überhaupt nichts zu tun.

SZ: Wie ist die Stimmung in der Stadt vor dem Volksentscheid?

Beust: Vordergründig gut. Es ist endlich Sommer. Die WM macht Spaß, Hamburg steht wirtschaftlich recht gut da, der Hafen hat wieder zweistellige Wachstumsquoten. Aber politisch haben wir keine einfache Lage, vor allem wegen des Sparhaushalts und der Schulreform.

SZ: Die Stadt wirkt gespalten: Die einen wollen unbedingt eine sechsjährige Grundschule, andere auf keinen Fall.

Beust: Das ist wohl so. Es wird Aufgabe der Politik sein, die Kluft danach zu überbrücken. Es darf keine Überheblichkeit gegenüber den Verlierern geben.

SZ: Es gibt viele Veranstaltungen in der Stadt, aber wenig Dialog.

Beust: Vor allem fällt auf, dass die Veranstaltungen nicht gut besucht sind. Offenbar ist nur ein Teil der Hamburger mit heißem Herzen dafür oder dagegen. Es herrscht mehr Gelassenheit als noch vor Monaten, das Thema ist einfach nicht mehr so neu. Die Stimmung ist weniger emotional - die Argumente sind bekannt, und es wirkt sich aus, dass alle Parteien in der Bürgerschaft, von ganz links bis zum konservativen Flügel der CDU, der Reform zugestimmt haben. Da sagen sich vielleicht Leute, die sich nicht so sehr dafür interessieren, dass die Sache wohl nicht so falsch sein kann.

SZ: Haben Sie vor zwei Jahren mit dieser Zuspitzung gerechnet?

Beust: Nein. Ich habe Widerstand erwartet. Aber nicht so massiv. Bei vielen Gegnern weiß ich, dass sie ihre Argumente haben. Aber mich hat überrascht, dass manche so unverhohlen sagen: Wir wollen nicht, dass unsere Kinder länger als notwendig mit Kindern mit Migrationshintergrund zur Schule gehen.

SZ: Das haben Sie erlebt?

Beust: Da tauchen, auch bei Bürgerlichen, unverhohlen Ressentiments auf. Ich hätte damit in einer so weltoffenen Stadt nicht gerechnet.

SZ: Was antworten Sie?

Beust: Alle Kinder sind Hamburger, egal, ob ihre Eltern Türken, Afrikaner oder Afghanen sind. Mich ärgert die Haltung. Mich wundert, dass diese Menschen nicht einsehen, dass Hamburgs Wirtschaft gut ausgebildeten Nachwuchs braucht. Auch deshalb kämpfe ich für die Reform. Wir können es uns nicht leisten, dass zehn Prozent die Schule ohne Abschluss verlassen.

"Wer führt, macht sich auch Feinde"

SZ: Wie oft schlägt Ihnen aus dem bürgerlichen Lager der Vorwurf entgegen: Ole, du hast uns verraten!

Beust: Das wird wohl eher gesagt, wenn ich nicht dabei bin. Zu mir sind die Menschen nach wie vor freundlich. Aber ich höre, dass es gesagt wird.

SZ: Wie ist das, als Verräter am Bürgertum zu gelten?

Beust: Es tut mir leid, wenn Leute enttäuscht sind. Aber die Aufgabe eines Politikers ist auch zu führen, und Führung kann heißen, dass ich Menschen enttäusche. Wer führt, macht sich auch Feinde.

SZ: Ihr Satz "Der Kapitalismus ist gescheitert" hat die Bürger auch irritiert.

Beust: Das sagen doch fast alle, auch die Kanzlerin.

SZ: Aber was meinen Sie?

Beust: Dass der reine Kapitalismus kein Selbstzweck sein kann, sondern mit Verantwortung einhergehen muss. Das ist die Lehre aus der Finanzkrise.

SZ: In Hamburg spürt man seit der Krise den Unterschied zwischen Arm und Reich besonders deutlich.

Beust: Mich treibt um, dass sich die Haltung oben wie unten verändert hat. Arm und reich hat es immer gegeben. Aber jetzt gibt es mehr Menschen am unteren Ende, die aus vielerlei Gründen nicht mehr das Ziel des Aufstiegs oder die Kraft dafür haben und wollen, dass es ihren Kindern mal besser geht. Und es gibt mehr Menschen, die unverhohlen mit ihrem Reichtum angeben. So was tat man in Hamburg früher nicht.

SZ: Es wird zu sehr geprotzt?

Beust: Ja.

SZ: Sie wollen, dass die Eliten mehr Verantwortung übernehmen.

Beust: Es gibt in Hamburg sehr viele Bürger, die spenden, ohne viel Aufhebens zu machen. Dafür bin ich sehr dankbar. Es geht mir vielmehr um eine Haltung: Ich denke, je größer der Erfolg ist, desto größer sollte auch die Demut sein. Hamburg stand traditionell für zurückhaltenden Umgang mit Reichtum. Nun gibt es einige, denen das Bewusstsein fehlt, dass, wenn ich Erfolg habe, mindestens fünfzig Prozent Glück dabei sind.

"Ich bin der Kapitän an Bord"

SZ: Ist das Sparpaket der Bundesregierung ausgewogen?

Beust: Nein, deshalb habe ich mich auch für eine stärkere Besteuerung der Reichen ausgesprochen. Gerechtigkeit ist auch eine emotionale Sache. Wenn Sie unten kürzen, aber oben nicht, führt das logischerweise zu Unverständnis. Also wäre es anders klüger gewesen. Würde die Union allein regieren, hätte sie es auch so gemacht.

SZ: Kann man da mehr machen?

Beust: Entscheidungen werden in der Koalition getroffen. Die raufen sich gerade zusammen. Da hilft es nicht, Forderungen zu erneuern, bei denen die FDP nicht mitmacht.

SZ: Wie sehen Sie die Kanzlerin?

Beust: Frau Merkel ist mir sympathisch, weil sie nicht dieses Gockel-Gehabe zeigt. Sie schlägt keine Pfauenräder. Ihre Stärke ist die nüchterne Analyse, aus der politische Entscheidung folgt. Aber manchmal braucht Politik Symbole. Wenn das Vertrauen flöten geht, müssen Sie auch mal auf den Tisch hauen.

SZ: Das vermissen Sie?

Beust: Aber ich meine auch, wenn ein Minister illoyal ist, wäre es klug, ihn rauszuschmeißen. Dann muss die Kanzlerin sagen: Ich bin der Kapitän an Bord. Ich habe jetzt dreimal gemahnt, nun fliegst du raus. Das habe ich ihr auch im Präsidium gesagt.

SZ: Und?

Beust: Sie hat herzlich gelacht.

SZ: Wer könnte es sein?

Beust: Ich will niemanden loswerden. Nur jeder sollte wissen: Wenn er wieder losschnattert, geht er ein Risiko ein.

SZ: Trauen Sie das der Kanzlerin zu?

Beust: Ja.

SZ: Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Hamburger ihnen beim Volksentscheid einen Denkzettel wegen der Bundesregierung verpassen?

Beust: Ich hoffe nicht, dass das passiert. Die Stimmung scheint mir sachbezogen.

SZ: Ihre CDU ist in der Frage gespalten.

Beust: Ja. Wir haben zwar einstimmige Beschlüsse zur Schulreform, aber die mögen zumindest teilweise der Loyalität zu mir geschuldet sein. Das weiß ich auch zu schätzen.

SZ: Wird das langfristig ein Problem?

Beust: Das glaube ich nicht. Auf unserem Parteitag haben gerade die Befürworter der Reform bei Wahlen sehr gute Ergebnisse bekommen. Ich glaube, diese Zerrissenheit ist bei großen Entscheidungen normal. Vermutlich hätte es den Euro nie gegeben, wenn Helmut Kohl nicht gewesen wäre. Gerhard Schröder musste bei Hartz IV auch die Linie vorgeben. Was das für das Wahlergebnis bedeutet, ist eine andere Frage. Aber ohne Risiko geht sowas eben nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: