Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen:"Eine Geste - betont spärlich"

Deutschland nimmt zwei Guantanamo-Gefangene auf - Kurnaz-Anwalt Docke ist trotzdem nicht zufrieden. Berlin werde seiner politischen Verantwortung längst nicht gerecht.

Oliver Das Gupta

Bernhard Docke ist Rechtsanwalt aus Bremen. Der Jurist hat mehrere Jahre um die Freiheit des Bremers Murat Kurnaz gekämpft, der in Pakistan verschleppt und im US-Gefangenenlager Guantanamo interniert und gefoltert wurde. Die Amerikaner erkannten bald, dass Kurnaz kein Terrorist war - allerdings dauerte es fast fünf Jahre, bis die Bundesregierung den gebürtigen Bremer mit dem türkischen Pass aus dem karibischen Gulag nach Hause holten.

sueddeutsche.de: Herr Docke, Deutschland nimmt zwei Guantanamo-Häftlinge auf. Sind Sie zufrieden?

Bernhard Docke: Ich freue mich über diese längst überfällige humanitäre Geste. Zufrieden bin ich nicht. Die Zustimmung erfolgt sehr spät nach quälend langen Debatten. Viele andere EU-Länder haben schneller gehandelt und den übernommenen Häftlingen ein weiteres Martyrium erspart. Zufrieden bin ich auch deswegen nicht, da viele andere Häftlinge noch auf ein Aufnahmeland warten, Häftlinge, von denen die USA teilweise schon seit Jahren davon ausgehen, dass sie unschuldig sind.

sueddeutsche.de: Washington hat Berlin gebeten, einen dritten Mann aufzunehmen - doch den will Innenminister de Maizière nicht haben.

Docke: Zu Einzelfällen kann ich keine Stellungnahme abgeben. Mit der Übernahme von zwei Häftlingen fällt die humanitäre Geste aber betont spärlich aus. Unserem Land - mit den hier vorhandenen Ressourcen, traumatisierte Häftlinge aufzunehmen und zu versorgen - hätte es gut angestanden, sich großzügiger zu verhalten. Dies ist nicht nur eine Frage der Moral, ich sehe auch eine politische Verantwortung. Deutschland hat den USA geholfen, Terrorverdächtige in rechtsfreie Räume zu bringen. Im Fall Murat Kurnaz hat Deutschland Guantanamo für vermeintliche eigene Sicherheitsinteressen instrumentalisiert. Das System Guantanamo beruht auf einem Bruch internationalem wie amerikanischen Rechts. Es ist ein Verbrechen an den Gefangenen, sie zu foltern und ihnen Rechtsschutz zu verweigern. Die Abkehr von diesem Irrweg sollte Deutschland aktiv unterstützen, nicht nur in Sonntagsreden.

sueddeutsche.de: Hat der Fall Kurnaz in der deutschen Öffentlichkeit die Akzeptanz gefördert, Guantanamo-Häftlinge nach Deutschland zu holen?

Docke: Ich denke ja. Herr Kurnaz war und ist mitnichten ein Sicherheitsrisiko. Er geht mit der jahrelangen Folter und Isolation auf bemerkenswerte Art um. In diversen europäischen Ländern sowie in Japan hat er zahlreiche Vorträge als "Menschenrechtsbotschafter" von Amnesty International gehalten. Herr Kurnaz genießt seine wieder gewonnene Freiheit und führt neben seinen öffentlichen Auftritten gegen Menschenrechtsverletzungen ein unauffälliges und glückliches familiäres Leben jenseits aller falschen Klischees über Guantanamo-Häftlinge.

sueddeutsche.de: Kritiker fürchten, dass von den nun freigelassenen Häftlingen Gefahr ausgeht. Was antworten Sie denen?

Docke: Die jetzt zur Freilassung anstehenden Häftlinge befinden sich teilweise seit vielen Jahren ohne Gerichtsverfahren, ohne Anklage und ohne Haftbefehl in Guantanamo. Es gab und gibt keine seriösen Vorwürfe gegen sie. Zur Rechtfertigung der Inhaftierung in Guantanamo wurden vom Pentagon gezielt Zerrbilder über die Gefährlichkeit der Gefangenen lanciert. Dabei halten die USA selbst intern einen Großteil der Gefangenen für unschuldig und harmlos. Die Gefangenen wurden Opfer von Kopfgeldjägern und dann schlicht unter unmenschlichen Bedingungen ohne Prüfung etwaiger Haftgründe verwahrt. Von keinem der Gefangenen, die bislang von der Obama-Administration freigelassen wurden, ist bekannt geworden, dass es nach der Freilassung etwa Berührung mit terroristischen Aktivitäten gegeben habe. Sicher ist es erforderlich, dass die entlassenen Gefangenen umfassend medizinisch und psychologisch betreut werden. Es sind Opfer und nicht Täter.

sueddeutsche.de: Dennoch: Ein Restrisiko bleibt.

Docke: Ein gewisses Restrisiko wird man nie ausschließen können. Wir leben täglich mit Risiken. Das ist geradezu ein Merkmal einer offenen Gesellschaft. Denken Sie an die Risiken bei der Entlassung von Strafgefangenen. Hier gibt es im Unterschied zu den Guantanamo-Häftlingen aber immerhin eine von einem Gericht festgestellte Straftat.

sueddeutsche.de: Gerade in der Union haben viele Bedenken, Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen - auch mit dem Hinweis auf mögliche psychische Störungen durch die Zeit in Guantanamo.

Docke: Eine Traumatisierung durch illegale Haft kann doch kein Argument sein, diesen Zustand zu perpetuieren. Dies wäre ja ein dem Rechtsstaat fremder, sich selbst generierender Haftgrund. Es ist tägliche Praxis, dass Deutschland Asylsuchende aufnimmt, die aus Staaten stammen, in denen systematisch gefoltert wird. Diese Folteropfer bedürfen einer besonderen therapeutischen Behandlung durch Einrichtungen, über die wir in unserem Land verfügen. Mir ist nicht bekannt, dass die Inhaftierung und Folter im Herkunftsland im Aufnahmeland zu einer strafrechtlich relevanten Radikalisierung der Betroffenen geführt hat.

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