Schulreform im Saarland:Keine Tränen am ersten Schultag

Die Jamaika-Koalition im Saarland will ihre Schulreform umzusetzen. Doch selbst in den eigenen Reihen gibt es Widerstand gegen fünf Jahre Grundschule und verschulten Kindergarten.

Marc Widmann

Als die Fragen kritisch werden in der Saarbrücker Staatskanzlei, erzählt Peter Müller am Donnerstag einfach aus seiner Familie. Drei Kinder hat der Regierungschef, folglich habe er als Vater drei Einschulungen miterlebt. "Drei mal haben Kinder geweint", berichtet Müller, es sei eben ein ziemlich harter Schritt vom Kindergarten in die Grundschule. "Aber das verliert nun seine Dramatik", verkündet der CDU-Politiker frohgemut. Dann erklärt er weiter die geplante Schulreform an der Saar, die womöglich "Schulgeschichte in Deutschland schreiben" werde.

Schulanfang in Bayern

Kevin hat es in der Schule schwerer als Maximilian - wegen seines Vornamens.

(Foto: dpa)

Nach acht Monaten im Amt wagt sich die erste Jamaika-Koalition der Republik nun an ihr heikelstes Projekt. "Eines der modernsten Schulsysteme" wollen der grüne Bildungsminister Klaus Kessler und Regierungschef Müller dem Saarland in den nächsten Monaten verschaffen, auch wenn es an Kritik nicht mangelt. Der Widerstand ist deutlich, nicht nur von Eltern und Lehrern, auch aus der eigenen Koalition. Schließlich handelt es sich einmal mehr um eine Idee der Grünen, die umgesetzt wird. Um eine Idee, die nicht gerade zu den bisherigen Schulplänen von CDU und FDP passt.

Die Reform werde "die Übergänge zwischen den Schulen harmonischer gestalten", sagt Müller, und weniger Schulabbrecher hinterlassen. Dazu sieht sie gleich drei große Umbrüche vor: Die Grundschule soll von vier auf fünf Jahre verlängert werden. Das letzte Kindergartenjahr wird zu einer Art Vorschule, in der Erzieher und Lehrer die Kleinen zusammen unterrichten. Und neben den Gymnasien soll eine neue Schulform namens "Gemeinschaftsschule" entstehen, in der die Jugendlichen alle Abschlüsse machen können, auch das Abitur.

Eine historische Reform? Von wegen, klagen viele Lehrer. Die Kritik kommt von verschiedenen Seiten. Den einen geht der Umbruch nicht weit genug, sie hätten die Grundschule lieber gleich auf sechs Jahre verlängert wie in anderen Ländern. "Man wird uns die Grundlage entziehen", befürchtet dagegen Klaus Lessel, Vorsitzender des saarländischen Philologenverbands. Den Gymnasien werde ein dringend benötigtes Jahr genommen. Und überhaupt: "Wenn wir die Grundschule auf fünf Jahre verlängern, ist es für die Eltern problematisch, umzuziehen." Manche Führungskraft würde sich dann wohl überlegen, ob sie überhaupt ins Saarland mit seinem Sondersystem gehen wolle, befürchtet Lessel.

Verletzungen aus der Vergangenheit

Auch so mancher in der Regierungskoalition ärgert sich beim Gedanken an den saarländischen Sonderweg. Fünf Jahre, das ist ein politischer Kompromiss, den die Grünen nach der Wahl aushandelten. Sie konnten damals fast alle ihre Ideen im Koalitionsvertrag unterbringen, schließlich hatten sie als einzige Partei zwei Regierungsbündnisse zur Auswahl. CDU und FDP sind ihnen weit entgegengekommen. Nun hoffen konservative Abgeordnete offenbar insgeheim, dass die Reform scheitert. Denn um das Schulsystem zu ändern, ist im Saarland eine Änderung der Verfassung nötig, und das geht nur mit Hilfe der Opposition. In der SPD erzählt man sich vergnügt, wie manch Parlamentarier aus dem Regierungslager nun auf den Fluren angeblich bittet: "Ihr werdet so einem Quatsch doch wohl nicht zustimmen?"

Schulanfang - Kinder mit Schulranzen

Der saarländische Sonderweg in der Schulpolitik hat viele Gegner.

(Foto: dpa)

Das mag man glauben oder nicht, Ministerpräsident Müller jedenfalls sagt, er vertraue auf "die Kraft der Argumente". In vielen Gesprächen will die Regierung "die Menschen mitnehmen", sowohl die skeptischen Eltern und Lehrer, wie auch die eigenen Anhänger. "Einfach wird das nicht", sagt ein einflussreiches CDU-Mitglied. Schließlich handele es sich bei der Schulrefom um ein sehr emotionales Thema, mit einigen Verletzungen aus der Vergangenheit. Nicht jeder in der CDU hat dem heutigen Bildungsminster Kessler schon vergessen, dass er bis vor kurzem als Chef der Gewerkschaft GEW noch hart gegen die Schulpolitik der Christdemokraten auftrat.

Der Grünen-Mann muss sich nun daran gewöhnen, dass jedes seiner Worte und jede seiner Gesten penibel registriert werden. Manche halten ihm mangelhafte Kommunikation vor, was er lebhaft abstreitet. Für ihn ist die Reform ein Lebenswerk, die einmalige Chance, nicht mehr nur Konzepte zu schreiben, sondern sie umzusetzen.

Schon im nächsten Schuljahr soll an 20 Grundschulen und 60 Kindergärten oder Kitas das gemeinsame "Kooperationsjahr" starten. Bis zum fünften Grundschuljahr wird es zwei Jahre länger dauern - vorausgesetzt, die Verfassungsänderung gelingt. Trotz aller Kritik will sich die SPD Gesprächen nicht verschließen. Sie stellt der Regierung sogar einen "Schulfrieden" in Aussicht: eine gemeinsame Reform, nach der dann viele Jahre Ruhe herrschen soll.

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