Psychisch krank durch Stress:Diagnose: Ausgebrannt und leer gepresst

Immer erreichbar, nie voll da: Arbeitnehmer gelten als Hochleistungsfaktor, der nie Pause machen darf - und gehen daran kaputt. Das kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten.

Guido Bohsem

Die Nachricht ist verblüffend. In der schlimmsten Rezession seit Gründung der Bundesrepublik hat die Zahl der Krankheitstage leicht zugenommen. Obwohl viele sich große Sorgen um ihren Job machen mussten, meldeten sich 2009 mehr Arbeitnehmer krank als noch im Jahr davor. Wieder einmal wurde damit die eigentlich etablierte Regel außer Kraft gesetzt, wonach der Krankenstand im Aufschwung hoch und in Krisenzeiten niedrig ist. Schon im Boom vor der Misere sank der Krankenstand. Inzwischen ist sogar die Rede von einem "ungesund niedrigen Krankenstand".

Es gibt zahlreiche Erklärungsansätze für dieses Phänomen. Zentral ist jedoch, dass die Sorge vor einem Verlust der Beschäftigung wegen Krankheit generell zugenommen hat. In der modernen Kommunikationsgesellschaft gilt der Arbeitnehmer als Hochleistungsfaktor, der niemals Pause macht. Neu ist, dass dies nicht nur für Gruppen von der mittleren Führungsebene aufwärts, sondern eigentlich für jeden Mitarbeiter gilt. Wer krank ist, löst im Betrieb vor allem die Sorge aus, wie zusätzlich anfallendes Arbeitspensum verrichtet werden kann.

Schon lange weisen die Gewerkschaften auf die Gefahr einer Entgrenzung der Arbeitswelt hin, auf die erwünschte Erreichbarkeit und Einsatzbereitschaft rund um die Uhr. Und sie präsentieren Studien, wonach genau diese durch Blackberry und iPhone forcierte Belastung zu psychischen Erkrankungen, Burn-out und zur inneren Kündigung führt. So etwas darf sich eine Gesellschaft, die von der Kreativität, Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft ihrer Arbeitnehmer lebt, eigentlich nicht leisten. Auch für die Ressource Arbeitskraft muss Nachhaltigkeit gelten.

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