Walser an Schweinsteiger:Schweinsteigers Kniefall

Der gloriose Fußballer kniet allein, die Stirn im Gras und beweist: Die, die gewonnen haben, sind nicht halb so eindrucksvoll wie die, die verloren haben. Ein offener Brief des Schriftstellers Martin Walser an Bastian Schweinsteiger.

Lieber Bastian Schweinsteiger,

Leipziger Buchmesse 2010

"Sie sollen wissen, Sie hätten uns durch keinen Sieg so faszinieren, so bannen, so für sich einnehmen können, wie durch dieses Hinknien." Das gibt der Schrifsteller Martin Walser dem Fußballer Bastian Schweinsteiger nach dem verlorenen Halbfinale mit auf den Weg.   

(Foto: ddp)

wenn Sie nach dem 0:1-Spiel nicht auf dem Rasen gekniet wären, vornübergebeugt, die Stirn, vielleicht das Gesicht im Gras, wenn wir Sie in dieser Haltung nicht zweimal auf dem Bildschirm hätten anschauen können, und jedes Mal nicht nur eine Sekunde lang, sondern so lange, dass uns Ihre Haltung durch und durch gegangen ist, wenn das alles so nicht gewesen wäre, würde ich, könnte ich nicht an Sie schreiben. So aber muss ich reagieren auf diesen grandiosen Fußballer, der nach einem 0:1 so kniet, so sich beugt. Wie Sie sich wieder aufgerichtet haben, wurde nicht gezeigt. So bleibt der kniende Bastian Schweinsteiger unser Haupterinnerungsbild an dieses 0:1-Ereignis. Ich dachte, als ich Sie sah, nicht: Jetzt weint er. Oder: Jetzt betet er. Oder: Jetzt flucht er. Alles wäre verständlich gewesen.

Ich habe gedacht: So knien, so sich beugen kann nur einer, der gerade verloren hat. Und das kann ich Ihnen nach längerer Fernseh-Zuschauer-Erfahrung mitteilen: Die, die gewonnen haben, sind nicht halb so eindrucksvoll wie die, die verloren haben. Ein berühmtes Beispiel: Boris Becker. Wenn er gewonnen hatte, reckte er die geballte Faust in einen leeren Himmel und hatte ein Gesicht wie unsere Vorfahren, als sie noch auf den Bäumen lebten. Aber wenn er verloren hatte, sah er aus wie ein Kind, das nichts dafür kann.

Sie, lieber Bastian Schweinsteiger, haben natürlich nicht an uns gedacht, an uns Millionen. Es gibt, das kann sich jeder leicht ausrechnen, viel mehr Verlierer als Gewinner. Und wer ein bisschen Erfahrung auf den Kampfplätzen unserer Welt hat - und die Sportplätze sind nur ein Teil dieser Kampfplatz-Welt - wer aber in seinem Feld und Umfeld erlebt, wie sich Gewinner gewöhnlich aufführen, der kann nur hoffen, dass er, wenn er auch mal gewinnt, nicht so dreist aus der Wäsche schaut, wie das der Gewinner tut.

Nichts gegen den wunderbaren Klose-Salto nach dem geschossenen Tor. Das ist das große Augenblicksgefühl. Das gibt es nur im Sport. Da ist der Körper das Ausdrucksmittel. An Ihre Haltung reicht das alles nicht heran. Sie sollen wissen, Sie hätten uns durch keinen Sieg so faszinieren, so bannen, so für sich einnehmen können, wie durch dieses Hinknien. Die Schicksalsdramaturgie hatte für Fallhöhe gesorgt. Zuerst ein schönes Spiel nach dem anderen, und Sie jedesmal der, der seinen Kollegen großartige Tor-Chancen liefert, dann dieser Sturz ins 0:1. Dann knien Sie so lange, wie Sie noch kein Mensch hat knien sehen. Und in der massenhaft belebten Umgebung direkt nach dem ins Unglück verlaufenen Spiels knien Sie ganz allein, keiner kommt, der Sie, sagen wir, aufrichten will. Das spricht für alle, die da herumrannten.

Ich finde, das Bild, das so zustande kam, der gloriose Fußballer kniet allein, die Stirn im Gras, dieses Bild hat es verdient, gespeichert zu werden, überall. Dass es in uns, den Zuschauern gespeichert ist, darauf können Sie sich verlassen.

Mit freundlichen Grüßen,

Martin Walser.

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