Minderheitsregierung in NRW:Raus aus der Schmollecke

Hannelore Kraft kommt ihrem Ziel immer näher: Auf dem SPD-Landesparteitag in Nordrhein-Westfalen votierten die 459 Delegierten einstimmig für den rot-grünen Koalitionsvertrag. Auch bei Linken und Grünen läuft alles für die SPD-Chefin.

Hannelore Kraft kann durchatmen. Am Mittwoch soll sie im Landtag zur Nachfolgerin von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gewählt werden. Und sie muss wohl nicht fürchten, dass ihre Partei oder ihr Koalitionspartner ihr da einen Strich durch die Rechnung machen, wie es einst ihrer Parteifreundin Andrea Ypsilanti passiert ist.

Beim Landesparteitag in Köln votierten die Delegierten einstimmig für den rot-grünen Koalitionsvertrag und gaben der nordrhein-westfälische SPD-Chefin so volle Rückendeckung für die Bildung einer Minderheitsregierung mit den Grünen. Minutenlang wurde Kraft von den 459 Delegierten mit lautem Beifall gefeiert.

SPD und Grüne gingen keinen leichten Weg, räumte Kraft ein. "Es ist keine einfache Konstellation. Darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen", sagte die 49-Jährige. Rot-Grün sei auf Stimmen aus anderen Lagern angewiesen. Das sei aber keine gelebte Praxis im Düsseldorfer Landtag. Kraft rief die anderen Landtagsfraktionen zur Zusammenarbeit auf. "Fundamentalopposition und sich in die Schmollecke zurückziehen hilft dem Land nicht weiter." SPD und Grünen fehlt im Landtag eine Stimme zur absoluten Mehrheit. Um im zweiten Wahlgang zur Regierungschefin gewählt zu werden, ist Kraft deshalb auf mindestens zwei Enthaltungen aus anderen Fraktionen angewiesen. Die Linkspartei hat bereits signalisiert, dass sie die Wahl Krafts nicht blockieren will.

Kraft verteidigte ihre Entscheidung für eine Minderheitsregierung. Nach intensiven Sondierungsgesprächen mit CDU, FDP und Linkspartei habe es dazu keine Alternative gegeben. Die CDU sei nicht zu einem Politikwechsel bereit gewesen. Deshalb habe die SPD nicht den Weg in den sicheren Hafen einer großen Koalition einschlagen können. Die FDP brauche noch Zeit, um eine Ampelkoalition eingehen zu können, betonte Kraft. Und die Linke könne sich nicht zwischen Regierung und Opposition entscheiden.

Immerhin werden die Linken aber wohl Hannelore Kraft ins Amt helfen. Die Mehrheit der Linke-Basis empfahl der Landtagsfraktion, sich bei der Ministerpräsidentenwahl geschlossen zu enthalten und damit die Wahl der SPD-Chefin zu ermöglichen. Damit könnte die SPD-Landeschefin Kraft am Mittwoch bei der Ministerpräsidentenwahl im zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Weil SPD und Grünen im Landtag eine Stimme zur absoluten Mehrheit fehlt, hätten CDU, FDP und Linke die Wahl Krafts theoretisch gemeinsam verhindern können.

Auch auf dem Landesparteitag der Grünen in Neuss stieß die rot-grüne Minderheitsregierung auf breite Unterstützung. Der Koalitionsvertrag sei ein gutes Reformprogramm für den sozial-ökologischen Aufbruch, sagte die Verhandlungsführerin der Grünen, Sylvia Löhrmann, vor der Abstimmung und erhielt ebenfalls viel Beifall.

Sie hob vor allem geplante Veränderungen in der Schulpolitik und für den Klimaschutz hervor. Sie sei sicher, dass der Parteitag dem Koalitionsvertrag "mit voller Überzeugung und großer Geschlossenheit" zustimmen werde, sagte Löhrmann. Die Delegierten erhoben sich zum Ende ihrer Rede von ihren Sitzen und applaudierten Löhrmann im Stehen. Auch in der anschließenden Aussprache wurde überwiegend Zustimmung geäußert. Eine Minderheitsregierung sei ein neuer Weg und ein Wagnis, räumte Löhrmann ein.

Für jede einzelne Abstimmung im Parlament sei Rot-Grün auf mindestens zwei Enthaltungen aus den drei übrigen Fraktionen oder auf eine weitere Zustimmung angewiesen. Dies biete aber auch die Chance auf "eine neue demokratische Kultur des Miteinanders". Bei zwei Gegenstimmen votierten die rund 280 Delegierten schließlich für das Regierungsprogramm.

Die CDU-Landtagsfraktion bezeichnete den Koalitionsvertrag als ein "Dokument des Scheiterns". "Die SPD in NRW hat in den vergangenen fünf Jahren nichts dazu gelernt. (...) Der Koalitionsvertrag setzt genau dort an, wo SPD und Grüne 2004 gescheitert sind", erklärte Fraktionschef Karl-Josef Laumann in Düsseldorf. Mit der geplanten drastischen Neuverschuldung für dieses Jahr auf über neun Milliarden Euro hätten SPD und Grüne den alten Schlendrian aus 2004 zum neuen Regierungsprogramm erklärt. "Stabile Verhältnisse hätte es in einer Großen Koalition gegeben. Die hat die SPD nicht gewollt. Stattdessen erhält NRW jetzt die linkeste Landesregierung, die das Land jemals hatte", so Laumann weiter.

In Köln votierte ein Parteitag der NRW-SPD einstimmig für den Koalitionsvertrag, in Leverkusen wurde ein entsprechender Antrag auf dem Parteitag der NRW-Linken mit großer Mehrheit angenommen. Die rund 180 Delegierten stimmten dem Plan bei vier Gegenstimmen und sechs Enthaltungen zu.

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