Umweltschutz: UN attackieren Konzerne:"Natürliches Kapital wird im großen Stil vernichtet"

Der Raubbau an der Natur setzt sich ungebremst fort - wettert UN-Umweltchef Steiner. Arten sterben heute 100-mal schneller aus als es die Evolution vorgibt - doch Großkonzerne bleiben ruhig.

Markus Balser

Die Vereinten Nationen werfen den größten Konzernen der Welt beim Umweltschutz schwere Versäumnisse vor. "Das natürliche Kapital der Welt wird im großen Stil vernichtet", warnte UN-Umweltchef Achim Steiner im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Allein die 3000 bedeutendsten Unternehmen verursachen einer neuen UN-Studie zufolge jährliche Umweltschäden von zwei Billionen Euro.

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko steht laut Vereinten Nationen für weit mehr als die Probleme eines einzelnen Konzerns: Einer neuen Studie des UN-Umweltprogramms UNEP in Nairobi zufolge schenken die meisten Unternehmen dem Natur- und Artenschutz kaum Beachtung.

"Der Raubbau an der Natur durch die Wirtschaft setzt sich seit Jahren ungebremst fort", kritisiert Steiner. Wildnis, Arten, Lebensräume und Ökosysteme verschwänden in nie dagewesenem Tempo.

Eine aktuelle UNEP-Schätzung kommt zum Ergebnis, dass die Arten heute 100-mal schneller aussterben, als es die Evolution vorgibt. "Ein sechstes globales Massensterben hat begonnen", schlagen die Experten des UN-Umweltprogramms Alarm. In internationalen Großkonzernen löst das allerdings offenbar kaum Sorgen aus.

Nur zwei der hundert größten Konzerne der Welt haben sich den Erhalt der Ökosysteme als strategisches Ziel auf die Fahnen geschrieben, so das Ergebnis der UN-Studie, die an diesem Dienstag in London auf der ersten globalen Konferenz für Artenvielfalt und Biodiversität veröffentlicht wird.

Von 1100 internationalen Top-Managern fürchtet nur jeder Vierte, Artensterben und der Verlust ganzer Ökosysteme könnten das eigene Geschäft beeinträchtigen. "In vielen Konzernen gilt noch immer die Devise: Natürliche Ressourcen sind unerschöpflich. Dabei müssen wir längst schmerzhaft spüren, dass das nicht mehr stimmt", sagt UNEP-Chef Steiner.

Die Vereinten Nationen beziffern die Umweltschäden, die allein die 3000 größten Unternehmen der Welt durch den Missbrauch natürlicher Ressourcen, durch Verschmutzung von Luft oder Gewässern sowie das Aussterben von Arten verantworten, auf 1,7 Billionen Euro. "Viele Volkswirtschaften sind noch immer blind für den enormen Einfluss der Artenvielfalt von Tieren, Pflanzen und anderen Lebensformen und ihre Rolle für die Funktion des Ökosystems", kritisierte Steiner. Das betreffe Wälder und Trinkwasservorräte ebenso wie den Boden, die Ozeane und die Atmosphäre. So gingen jedes Jahr zwölf Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche verloren.

Damit räumen die Vereinten Nationen auch das Scheitern ihrer eigenen Ziele zum Schutz von Artenvielfalt und Biodiversität ein. Denn 2002 hatten sich 192 Länder auf dem Umweltgipfel von Johannesburg darauf verpflichtet, bis 2010 den Verlust der Artenvielfalt "global, regional und national" zu bremsen. Tatsächlich aber nehme die Zahl der Tier- und Pflanzenarten weiter dramatisch ab, sagt Steiner. Noch immer sterben täglich bis zu 130 Arten aus, fallen der Holzindustrie Urwälder von der anderthalbfachen Fläche der Schweiz zum Opfer. Moore verschwinden, Flüsse werden in Beton gezwängt, Berghänge erodieren zur Ödnis.

Den Grund für die weit verbreitete Ignoranz der Konzerne sehen die Vereinten Nationen in mangelnden Folgen für die Bilanz der Unternehmen: Die Nutzung des Ökosystems habe in vielen Bereichen keinen Marktpreis, sagt Steiner. "Kosten für Umweltschäden tragen Versicherer, die Bevölkerung und Steuerzahler." Die Vereinten Nationen fordern Regierungen weltweit deshalb zum Umdenken auf.

Die Politik müsse den Schutz der Ökosysteme neben dem Klimaschutz als zweites Umwelt-Politikfeld etablieren. Durch Abgaben und Steuern müsse die Nutzung nach dem Vorbild der CO2-Verschmutzungsrechte einen Preis bekommen, forderte Steiner weiter. Mangelnde Vorgaben förderten verantwortungsloses Handeln in Unternehmen, warnte auch Studienleiter Pavan Sukhdev.

Der UN-Studie zufolge wächst vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern das Bewusstsein für die wirtschaftlichen Folgen von Artensterben und Umweltverschmutzung. Während dies 50 Prozent der Konzernchefs in Lateinamerika und 45 Prozent der CEOs in Afrika als Gefahr für ihr Geschäft betrachten, sind es in Europa weniger als 20 Prozent.

Dagegen legen Konsumenten den Vereinten Nationen zufolge weltweit mehr Wert auf ökologische Produktion. 80 Prozent wollen bei Verstößen gegen ethische Regeln mit einem Boykott reagieren.

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