Wallraff über Böll:Lebendig wie eh und je

Wäre ohne Heinrich Böll heute vom "Wallraffen" die Rede, wenn es um verdeckte Recherchen geht? Ein Gespräch mit Günter Wallraff über sein großes Vorbild.

Uli Kreikebaum

SZ: Herr Wallraff, Heinrich Böll hat sich literarisch von der Truppe entfernt, Sie haben sich in einem Tagebuch an der Truppe abgearbeitet. Die Wut auf die Bild-Zeitung, auf die Mächtigen, auf die Wiederbewaffnung - es gibt viele Parallelen. War Böll Ihr Vorbild?

Guenter Wallraff

"Sein Einfluss war groß", sagt Günter Wallraff über Heinrich Böll, und dass er für auch nach 25 Jahren so lebendig ist wie eh und je.

(Foto: ddp)

Günter Wallraff: In Sachen Unabhängigkeit und Freiheitsstreben ist er es noch heute. Ich war mit einem seiner Neffen befreundet und habe ihm einen Teil des Tagebuchs über die Bundeswehr geschickt, nachdem meine Verweigerung abgelehnt worden war, ich mich zehn Monate lang weigerte, eine Waffe in die Hand zu nehmen und sie mich in die geschlossene psychiatrische Abteilung des Bundeswehrlazaretts Koblenz einsperrten. Böll hat mir Mut zugesprochen, das Tagebuch zu veröffentlichen. Später habe ich ihm dann bei der Recherche für die Erzählung "Entfernung von der Truppe" geholfen.

SZ: Würde heute ohne Böll überhaupt vom "Wallraffen" gesprochen, wenn von Under-Cover-Reportagen die Rede ist?

Wallraff: Sein Einfluss war groß. Einerseits durch die Bücher - gut möglich, dass "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" eine Rolle für meine späteren Recherchen bei Bild gespielt hat. Ich wollte wissen, wie es wirklich ist; andererseits, weil Böll immer geholfen hat. Er hat zum Beispiel im Prozess, den der Gerling-Konzern gegen mich geführt hat, als Gutachter ausgesagt. Ausweismissbrauch, Urkundenfälschung - all die Vorwürfe hat Gerling nicht durchbekommen, wahrscheinlich, weil Böll das Gericht auch beeindruckt hat mit seiner Aussage, dass meine Methode in jeder Hinsicht der Wahrheitsfindung diene und auch in der Dokumentarliteratur unverzichtbar sei.

SZ: Heinrich Böll hat Dissidenten unterstützt, Sie haben Wolf Biermann bei sich aufgenommen und später auch Salman Rushdie mehrfach bei sich versteckt. Hat er auch in dieser Hinsicht auf Sie gewirkt?

Wallraff: Über Bölls Kontakte bin ich 1973 in die Sowjetunion gekommen, in den Kreis Solschenizyns, habe auch dort Lew Kopelew kennengelernt und erfahren, wie dort Kollegen psychiatrisiert wurden. Böll hat mir die Augen geöffnet, wie Kollegen drangsaliert und gebrochen werden sollten; und er hat vorgelebt, wie Nächstenliebe und Solidarität von Mensch zu Mensch und von Gleich zu Gleich zu verwirklichen sind, ohne davon groß Aufhebens zu machen.

SZ: Was denken Sie, wenn Sie heute an Böll denken?

Wallraff: An einen Menschen, dessen Leben und Werk eine absolute Einheit bildeten, wie ich es sonst nur noch von dem türkischen Erzähler und Satiriker Aziz Nesin kannte. An eine moralische Instanz, ein Vorbild in Sachen Unabhängigkeit, der nie zu feige war, sich auch unbeliebt zu machen, wenn er es denn für nötig hielt. Böll ist für mich nicht tot, seine Gedanken, Werke und Taten sind lebendig und aktuell wie und eh und je.

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