Atomkraftwerke:Einfach laufen lassen und im Zweifel neue hochziehen

Die Atombranche geht in die Offensive: Die Anlagen sollen laufen, solange sie sicher sind. Und der Bau neuer Kernkraftwerke bleibt eine Option.

Markus Balser und Michael Bauchmüller

Im Streit um längere Laufzeiten für deutsche Kernkraftwerke geht die Atombranche in die Offensive: "Ich frage mich, was sich dieses Land noch alles leisten will", sagte der Präsident des Deutschen Atomforums, Ralf Güldner, der Süddeutschen Zeitung. Das Abschalten wirtschaftlicher Kraftwerke gefährde die Versorgungssicherheit.

Restlaufzeit Kernkraftwerke - Gundremmingen

Zoff um die Laufzeiten: Das Deutsche Atomforum verschärft den Ton.

(Foto: dpa)

Der Atombranche rennt nach monatelangen Auseinandersetzungen innerhalb der schwarz-gelben Koalition die Zeit davon. Schon jetzt stehen vier der 17 deutschen Kernkraftwerke kurz vor der Abschaltung. Bliebe es beim rot-grünen Atomausstiegsbeschluss von 2001, wären sie theoretisch spätestens im kommenden Jahr fällig. Nun meldet sich die Branche mit einem dringenden Appell zu Wort. Noch im Herbst müsse der Beschluss über verlängerte Laufzeiten fallen, fordert Atomforums-Präsident Güldner. "Das ist für einige Anlagen die letzte Chance. Sie müssten sonst vom Netz genommen werden." Das Atomforum ist die wichtigste Lobby-Organisation der Branche, es wird maßgeblich getragen von den vier Betreiberkonzernen Eon, RWE, Vattenfall Europe und EnBW. Die Unternehmen hatten sich in jüngster Zeit bewusst zurückgehalten, um die Atomdebatte nicht unnötig zu befeuern.

Das Atomforum wagt sich nun erstmals seit langem aus der Deckung. So fordert Güldner von der Bundesregierung eine unbefristete Öffnung der Laufzeiten. "Ich sage: Lasst die Anlagen solange laufen, wie sie sicher sind und ihren Beitrag liefern." Die Koalition hatte zuletzt erbittert darüber gestritten, ob die Verlängerung eher vier, acht oder etwa 15 Jahre umfassen sollte. Bislang ist die Laufzeit der Akw rein rechnerisch auf 32 Jahre begrenzt. Güldners Forderung liefe dagegen auf Gesamtlaufzeiten von rund 60 Jahren hinaus, wie sie etwa in den Niederlanden oder den USA zulässig sind. Innerhalb der Bundesregierung gilt eine solche Verlängerung allerdings als chancenlos.

Auch bei der geplanten Abschöpfung zusätzlicher Gewinne liegt die Branche derzeit mit der Bundesregierung über Kreuz. Von einer Brennelementesteuer, wie sie die Koalition schon vom kommenden Jahr an erheben will, möchte das Atomforum jedenfalls nichts wissen. Sie gefährde den wirtschaftlichen Betrieb der AKW, sagt Güldner der SZ. "So, wie es im jetzt bekannten Gesetzentwurf steht, lehnen wir das ab." Die Steuer soll dem Bund einem Gesetzesentwurf zufolge ab 2011 jährlich 2,3 Milliarden Euro in die Kassen spülen. Die Abgabe drohe die Branche zu erdrosseln, warnt das Atomforum. Notfalls müssten die Unternehmen die Gerichte bemühen. "Wir würden es begrüßen, wenn ein Rechtsstreit mit der Bundesregierung vermieden werden kann", so Güldner.

Widerstand in den Bundesländern

Die Branche hatte zuletzt mehrfach darauf hingewiesen, die Steuer verstoße gegen EU-Recht. Auch berufen sich die Unternehmen auf die Abmachungen rund um den Atomausstieg, die weitere Belastungen der Atomenergie ausgeklammert hätten. Allerdings zieht die nächste schwierige Rechtsfrage schon auf. Sollte der Bund nämlich das Atomgesetz ändern, um längere Laufzeiten zuzulassen, haben schon mehrere Bundesländer ihren Widerstand angekündigt. Sie pochen auf eine Beteiligung des Bundesrates - in dem die schwarz-gelbe Regierungskoalition seit der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen keine Mehrheit mehr hat.

Juristen kamen zuletzt in Gutachten zu sehr unterschiedlichen Auffassungen darüber, ob das Laufzeit-Plus der Zustimmung der Länder bedarf oder nicht. Zumindest für Güldner aber liegt die Sache klar. Da sich die Aufgaben für die Länder nur quantitativ erhöhten, müssten diese der Novelle auch nicht zustimmen. "Es wäre im Übrigen auch ironisch, wenn die Länder ohne Kernkraftwerke im Bundesrat über die bestimmen, die welche betreiben." Auch innerhalb der Bundesregierung ist diese Frage umstritten. Regierungsgutachten hatten allerdings empfohlen, angesichts der Unsicherheit eher eine moderate Verlängerung anzustreben.

Dagegen schließt der Chef des Atomforums langfristig nicht einmal den Neubau von Atomkraftwerken in Deutschland aus.

"Dieses Thema steht nicht an", sagte Güldner, "aber vielleicht müssen wir in 20 Jahren aus Gründen des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit auch über den Neubau von Kernkraftwerken sprechen.

" Er halte ihn jedenfalls "nicht grundsätzlich für ausgeschlossen". Die geforderten langen Laufzeiten dürften die Branche indes wegen neuer Sicherheitsauflagen teuer kommen. Für jedes Kraftwerk rechnet sie mit einem zwei bis dreistelligen Millionenbetrag. Das rechne sich nur bei entsprechend langen Laufzeiten, so Güldner.

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