Loveparade: Katastrophe von Duisburg:Außer Kontrolle

Erste Untersuchungsergebnisse zur Katastrophe von Duisburg belasten beinahe ausschließlich den Veranstalter. Der Darstellung zufolge gelang es diesem nicht, die gewaltigen Besuchermassen auf dem Partygelände sicher zu steuern.

Nicolas Richter und Bernd Dörries, mit Graphik.

Der Samstag der Loveparade hatte schon nicht gut begonnen. Morgens um elf Uhr wollte der Veranstalter eigentlich das Gelände öffnen, bei großem Andrang sogar schon eine Stunde früher. Tatsächlich öffnete er die Zugänge vollständig erst um 12.04 Uhr, weil er vorher noch Planierarbeiten auf der Partymeile erledigen wollte. Um kurz nach zwölf hatten sich wegen der Verspätung bereits große Rückstaus an den Eingangsschleusen gebildet - es geschah also genau das, was eine frühere Öffnung eigentlich verhindern sollte.

Grafik Gelände Loveparade

SZ-Graphik: Hanna Eiden. Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild.

Mit dieser Szene einer wachsenden Menschenmenge am falschen Ort beginnt die Chronologie der tödlichen Loveparade am vergangenen Samstag, wie sie das Innenministerium Nordrhein-Westfalens schildert. Am Mittwoch wurden diese ersten Untersuchungsergebnisse veröffentlicht. Es ist eine Chronik des Versagens, die beinahe ausschließlich den Veranstalter belastet. Der Darstellung zufolge war die zentrale Ursache der Katastrophe, dass es nicht gelang, die gewaltigen Besuchermassen auf dem Partygelände ordentlich zu steuern. Diese Aufgabe oblag allein dem Veranstalter - so steht es seinem Sicherheitskonzept und so ist es bei Veranstaltungen dieser Art auch üblich.

Die Polizei musste nach eigenen Angaben immer wieder Druck auf den Veranstalter ausüben, damit wie geplant 30.000 Menschen pro Stunde die Zugangsschleusen passieren konnten. Die Besucher kamen also zunächst nur schleppend auf das Partygelände. Sie erreichten dieses nach den Schleusen zunächst durch zwei Tunnel, von denen aus eine Rampe auf die Partymeile führte. Am oberen Ende dieser Rampe bildete sich am Nachmittag allerdings ein Rückstau. Statt nämlich einfach weiterzugehen und sich auf dem Gelände zu verteilen, blieben viele ankommende Gäste erstmal am oberen Ende der Rampe stehen, um die Float-Parade zu verfolgen, also eine Reihe von Lastwagen mit Bühnen, Tänzern und Discjockeys. Die Polizei erklärt, sie habe vor der Veranstaltung auf dieses Staurisiko hingewiesen. Der Veranstalter hatte entgegnet, die Floats würden sich gegen den Uhrzeigersinn bewegen und damit eine Art Sog entfachen, der die ankommenden Besucher gleich mitziehen würde.

Außerdem sollten Ordnungskräfte der Loveparade, sogenannte Pusher, die Ankommenden am oberen Ende der Rampe entlang der Strecke weiterleiten, was aber nach den Beobachtungen der Polizei nicht geschah. Weil sich der Rückstau an dieser Stelle nicht auflösen ließ, bat der Veranstalter gegen 15.30 Uhr um Hilfe bei der Polizei. Ziel war es, den Zustrom von Menschen zu unterbrechen, damit sich der Rückstau am oberen Ende der Rampe auflösen konnte. Die spontane Absprache zwischen Veranstalter und Polizei sah zweierlei vor: Ordner und Polizei sollten auf der Rampe eine Art Sperre errichten, und zweitens wollten sie verhindern, dass noch mehr Menschen nachkamen. Deshalb sollten die Zugangsschleusen vor den Eingängen der Tunnel geschlossen werden. Um 15.46 Uhr wies der Veranstalter seine Ordner an, diese Schleusen zu schließen, was aber nicht geschah. Die Polizei erklärt, sie wisse nicht, warum die Ordner der Loveparade nicht reagierten. In der "Veranstaltungsbeschreibung" der Event-Gesellschaft Lopavent heißt es, trotz aller Kontrolle solle der Eindruck eines freien Zuganges bleiben, denn diese Freiheit sei "bestimmendes und sinnstiftendes Merkmal der Loveparade".

Am östlichen Zugang kam es offenbar nur zu kurzen Sperrungen. Am westlichen Zugang wurden die Absperrungen gegen 16.30 Uhr geöffnet, um einen Rettungswagen durchzulassen. Der Zaun aber wurde nicht gleich wieder geschlossen, und es wurde sogar ein weiteres Zaunteil entfernt. So drangen noch einmal etliche Besucher in den Tunnel zum Partygelände ein. Erst um 16.40 Uhr wurden die Zäune von den Ordnungsleuten des Loveparade-Veranstalters wieder geschlossen, erst dann nämlich, als die Polizei dies nach eigenen Angaben ausdrücklich angemahnt hatte.

Während die Besuchermasse weiter anschwoll, versuchten die Polizisten, den Zustrom zu bremsen. Auf der Rampe und in den beiden Tunneln bildeten die Beamten Polizeiketten. Sie mussten aber bald vor dem Besucheransturm kapitulieren. Weil der Veranstalter entgegen seiner Zusage die Schleusen nicht geschlossen habe, "mussten die polizeilichen Maßnahmen aufgrund der nachdrängenden Menschenmenge und des sich ständig erhöhenden Drucks aufgegeben werden", heißt es in der Darstellung des Innenministeriums. Zeugen sollen bestätigt haben, dass die Beamten im Tunnel förmlich überrannt worden und dann zur Seite gewichen seien. Der Stau am Ende der Rampe löste sich derweil auch weiterhin nicht auf, die Lage wurde sogar noch schlimmer, weil sich dort offenbar auch noch Besucher ballten, die schon wieder gehen wollten.

Das Innenministerium hat am Mittwoch bei der Düsseldorfer Pressekonferenz mehrmals darauf hingewiesen, dass die Steuerung der Besucherströme ureigene Aufgabe des Loveparade-Veranstalters gewesen sei. In dessen Sicherheitskonzept vom 28. Juni hieß es etwa: "Zur Publikumssteuerung (crowd handling) sind im gesamten Eingangs-Tunnelbereich etwa 100 Sicherheitskräfte des Veranstalters im Einsatz. (...) Sollten sich Rückstauungen vom Veranstaltungsgelände bis zum Tunnel abzeichnen, wird hier umgehend die temporäre Sperrung der Einlassschleusen veranlasst". Offenbar hat der Veranstalter am Tag der Katastrophe keine seiner Zusagen einhalten können. Fraglich ist allerdings, warum die Polizei nicht entschiedener die Schließung der Schleusen durchsetzte.

Von ersten Opfern an der Rampe erfuhr die Polizei um 17.02 Uhr. Da wurde die Menschenmenge im unteren Drittel der Zugangsrampe bereits extrem zusammengedrängt. An der westlichen Seite der Rampe wurde der Absperrzaun, der eine Treppe sicherte, umgerissen. Plötzlich war damit der Zugang zu der schmalen Treppe frei, die nach oben auf die Partyfläche führte. Etliche Besucher drängten nun in Richtung der Treppe, um über die Abkürzung ins Freie zu kommen. Damit stieg der Druck nochmals erheblich.

Die Polizei glaubt, dass die "inzwischen am Boden liegenden Zaunelemente zur Stolperfalle wurden". Nur in diesem schmalen Bereich, der unmittelbar am Fuß der Treppe lag, war das Drängen der Masse am Ende so stark, dass Menschen starben. Dort fand man die 14 unmittelbar Getöteten. Die Polizei vermutet unter den Menschen in diesem Bereich "unterschiedliche Motivlagen". Viele hätten offenbar versucht, dem ungeheuren Druck zu entkommen. Andere hätten wohl schlicht schneller auf das Partygelände gelangen wollen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: