Plankton:Schwund im Meer

Die Phytoplankton-Konzentration im Ozean hat seit 1899 um zwei Drittel abgenommen. Das wirkt sich auch auf die Menschen aus, denn Plankton ist die Basis der marinen Nahrungsketten.

Christopher Schrader

Seit Jahrzehnten gehört die Secchi- Scheibe zum Inventar von Forschungsschiffen. Es handelt sich dabei um ein rundes Blech mit einem Durchmesser von bis zu 50 Zentimetern, das oft in vier Felder aufgeteilt und weiß und schwarz lackiert ist.

Phytoplankton

Diatomeen sind wichtige Mikroorganismen, die zum Phytoplankton gehören, das andere Bewohner des Meeres verspeisen. "Phytoplantkon ist der Treibstoff des marinen Ökosystems. Eine Abnahme wirkt sich auf alle Teile der Nahrungskette aus, auch auf die Menschen", sagt einer der Studienautoren, Daniel Boyce, von der Dalhousie University in Halifax, Kanada.

(Foto: Harry Taylor/Nikon Small World)

Die Besatzung des Schiffes lässt sie an einem Seil immer tiefer ins Wasser, bis kein Mann an Bord mehr das Muster im Trüben erkennen kann. Die am Seil markierte Tiefe ist dann ein Maß für die Transparenz des Meeres an dieser Stelle.

Diese Messgröße, die man in Internet-Datenbanken abrufen kann, wird nicht aus touristischen Gründen erhoben. Sie liefert Informationen über die biologische Aktivität unter dem Rumpf des Schiffs. Schließlich trägt die Konzentration der Plankton-Mikroorganismen, die hier schwimmen, entscheidend zur Trübung des Wassers bei.

Diese Lebewesen, die Sonnenlicht zur Photosynthese nutzen, bilden die Basis aller Nahrungsketten im Meer und liefern die Hälfte der auf der Erde produzierten Biomasse. Dazu gehören etwa Kiesel- und Grünalgen, Dinoflagellaten und Cyanobakterien.

"Sie produzieren auch die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen", sagt Boris Worm von der Dalhousie-Universität im kanadischen Halifax. Seinen Berechnungen zufolge hängt die Verbreitung der Mikroorganismen stark von der Temperatur des Meeres ab. Über das 20. Jahrhundert hinweg habe die Konzentration des Phytoplankton deswegen um fast zwei Drittel abgenommen, berichtet Worm mit zwei Kollegen in Nature (Bd.466, S.591, 2010).

Die drei Forscher haben Hunderttausende historischer Messungen an der Secchi-Scheibe mit modernen Satellitenbildern und direkten Messungen des Plankton-Chlorophylls kombiniert. Im Mittel habe die Konzentration der Mikroorganismen seit 1899 jedes Jahr um ein Prozent abgenommen, schreiben die Forscher um Boris Worm. Die Meere haben sich in der gleichen Zeit fast überall um mindestens ein halbes Grad Celsius erwärmt.

Das Drei-Mann-Team hat die Weltmeere für seine Analyse in zehn Regionen unterteilt. Überall spielen auch regionale Effekte eine Rolle zum Beispiel die El-Niño- und La-Niña-Phänomene im Pazifik, die Wassertemperaturen, Strömungen, Stürme und Niederschläge beeinflussen.

Auch der Eintrag von Nährstoffen aus Flüssen beeinflusste in küstennahen Gebieten offenbar die Planktonwerte. Die Forscher haben zwar alle Daten ausgeschlossen, die nicht wenigstens einen Kilometer von Land entfernt und in Wasser mit weniger als 25 Metern Tiefe erhoben wurden. Aber auch die Ostsee erfüllt diese Bedingungen, und hier lösen ins Wasser gespülte Dünger im Sommer oft ausgedehnte Algenblüten aus, wie Satelliten gerade in den vergangenen Wochen gezeigt haben.

Temperatur als wichtiger Faktor

In zweien der zehn Gebiete, dem nördlichen wie südlichen Indischen Ozean haben die Forscher durch das Wechselspiel aller Einflussgrößen daher keine Abnahme, sondern eine Zunahme des Planktons festgestellt. Im globalen Mittel aber spielten die beiden Ausreißer keine Rolle.

Phytoplankton im Nordost-Atlantik

Phytoplankton im Nordost-Atlantik. Diese Lebewesen bilden die Basis aller Nahrungsketten im Meer und liefern die Hälfte der auf der Erde produzierten Biomasse.

(Foto: Nasa/Earth Observatory Collect.)

"Der langfristige globale Rückgang, den wir hier beobachten, ist eindeutig", schreiben die Forscher. Und die Wärme des Meeres ist der einzige Faktor, mit dem sich die Abnahme erklären lässt. Sie führt offenbar zu einer stärkeren Schichtung des Meerwassers und behindert den Transport von Nährstoffen. Darum ist die Konzentration der Mikroorganismen in tropischen Gewässern systematisch niedriger als näher an den Polen.

Tatsächlich ist die Temperatur des Meeres offenbar für das gesamte Leben im Ozean ein wichtiger Faktor, wie der Meeresbiologe in einem zweiten Aufsatz in Nature (online) mit Kollegen aus Amerika zeigt. Sie haben die Verteilung von gut 11.500 Spezies aus 13 Gruppen von Lebewesen kartiert. Die Biodiversität der Arten von Seegras und Krill über Korallen, Tintenfische, Haie, Thunfische bis zu Walen richtet sich ebenfalls nach der Wärme des Wassers.

Für die Küstenbewohner ist darum der Ozean zwischen China und Australien, rund um die Inselstaaten Indonesien und Philippinen, der reichste Lebensraum. Für die Tiere des offenen Ozeans findet sich in mittleren Breiten die größte Artenvielfalt, wo es schon warm ist, aber das Phytoplankton offenbar noch nicht unter der Wärme tropischer Gewässer leidet.

"Es war verblüffend, wie beständig die Temperatur mit der Vielfalt im Meer zusammenhängt", sagt Derek Tittensor, ebenfalls von der Dalhousie-Hochschule und Erstautor dieser Studie. "Die Erwärmung der Ozeane, die wir mit dem Klimawandel zu erwarten haben, könnte das Leben im Wasser daher ganz anders verteilen."

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