Placebos:Boten aus dem Nichts

Scheinmedikamente wirken nicht nur bei harmlosen Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen. Auch Patienten mit schweren Leiden wie Parkinson können vom Placebo-Effekt profitieren.

Werner Bartens

Eigentlich ist nichts drin. Und trotzdem wird ziemlich viel daraus. So könnte man den Mechanismus des Placeboeffektes beschreiben. Forscher und Ärzte haben schon länger erkannt, welche hilfreichen Folgen eine positive Erwartungshaltung haben kann, etwa wenn sich Patienten Linderung von einem Mittel erhoffen, obwohl kein spezifischer Wirkstoff darin enthalten ist.

Themendienst Wissenschaft: 'Nocebo-Effekt'

An die Vorstellung, dass Tabletten ohne spezifischen Wirkstoff die Bildung von Botenstoffen anregen, die an Rezeptoren binden und so mehr Beweglichkeit, Schmerzlinderung oder andere Wirkungen auslösen, müssen sich viele Menschen erst gewöhnen.

(Foto: ddp)

Oft wird die Placebowirkung nur bei harmlosen Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen angenommen. Kanadische Forscher zeigen im Fachblatt Archives of General Psychiatry vom heutigen Dienstag jedoch, dass der Placeboeffekt auch bei schweren Leiden wie Parkinson stark ausgeprägt ist und durch eine geschickte Versuchsanordnung stimuliert werden kann (Bd.67, S.857, 2010).

Das Team um Jon Stoessl von der University of British Columbia in Vancouver untersuchte Patienten, die bereits an einer mäßig ausgeprägten Form der Parkinsonkrankheit litten. Die freiwilligen Teilnehmer wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Die Probanden bekamen mitgeteilt, dass die Wahrscheinlichkeit in ihrer Gruppe 25, 50, 75 oder 100 Prozent betragen würde, dass sie das kurz zuvor abgesetzte Antiparkinson-Mittel Levodopa erhielten und kein Placebo.

Tatsächlich bekamen alle Probanden jedoch ein Scheinpräparat. Patienten, die mit einer 75-prozentigen Wahrscheinlichkeit damit rechneten, ihre gewohnte Therapie zu bekommen, reagierten am stärksten. Ihre motorischen Fähigkeiten waren am deutlichsten verbessert, zudem wurde bei ihnen die stärkste Dopamin-Freisetzung im Mittelhirn gemessen. Parkinsonkranke schütten aufgrund von Abbauprozessen in der Substantia nigra zu wenig von diesem Botenstoff aus, weswegen er durch die pharmakologische Vorstufe Levodopa ersetzt wird.

"Das Versprechen einer Symptom-Verbesserung, das durch ein Placebo ausgelöst wird, kann die Neurochemie des Gehirns erheblich beeinflussen", sagt Jon Stoessl. "Wir verstehen nun langsam, wovon die Stärke der Placebowirkung abhängig ist."

Die Patienten mussten mit der realistischen Chance von 75 Prozent rechnen, die Levodopa-Therapie zu bekommen, damit ihr Hirnstoffwechsel so reagierte, als wäre das Arzneimittel tatsächlich im Körper unterwegs. Eine Wahrscheinlichkeit von nur 25 und sogar von 50 Prozent schien hingegen keine entsprechende Erwartungshaltung auszulösen.

Wurde den Patienten vermittelt, zu 100 Prozent das Medikament zu erhalten, verbesserten sich weder Symptome noch Dopamin-Ausschüttung. Aus der Lernforschung ist bekannt, dass die Erwartungshaltung am größten ist, wenn ein Erfolg wahrscheinlich, aber eben nicht ganz sicher ist. "Wir haben gezeigt, dass man mit verbalen Anweisungen sogar die Dopamin-Freisetzung beeinflussen kann", sagt Stoessl.

Die unspezifische Stimulation der Erwartungshaltung durch Traubenzucker oder Kochsalz löst vielfältige biochemische Kaskaden im Gehirn aus. Der Neuroforscher Fabrizio Benedetti aus Turin gab Probanden zunächst Morphin, damit sie schmerzhafte Übungen besser ertrugen. Eine Woche später war das Morphin längst aus ihren Körpern verschwunden.

Eine identisch aussehende Spritze mit Kochsalz ließ die Freiwilligen die schmerzhafte Prozedur jedoch fast ebenso lange aushalten wie mit dem echten Schmerzmittel. Als Benedetti die Andockstellen für Morphine im Gehirn pharmakologisch blockierte, stellte sich der schmerzstillende Placeboeffekt nicht mehr ein; die Probanden mussten die Übung vorzeitig abbrechen.

Mediziner wie Laien müssen sich erst an die Vorstellung gewöhnen, dass Tabletten ohne spezifischen Wirkstoff die Bildung von Botenstoffen anregen, die an Rezeptoren binden und so mehr Beweglichkeit, Schmerzlinderung oder andere Wirkungen auslösen. Placeboeffekt bedeutet eben nicht, dass ein Mittel nicht wirkt. Im Gegenteil.

Psychosomatisch orientierte Ärzte versuchen diese Erkenntnis zu nutzen. "Eine Therapie oder Diagnose hat nicht bei jedem Menschen die gleiche vorhersagbare Wirkung", sagt der Frankfurter Chirurg Bernd Hontschik. "Das ist bei jedem Patienten anders und davon abhängig, welche Bedeutung der Therapie und dem Wort des Arztes zugewiesen wird."

Der eine erhofft von der Behandlung eine wundersame Heilung, der andere sieht darin ein entsetzliches Gift, das ihn noch kränker macht. Abhängig von der Erwartung werden die entsprechenden Botenstoffe im Gehirn aktiviert und wirksam. Gute Mediziner stimulieren die positiven Vorstellungen der Patienten und nutzen damit die "Droge Arzt".

Placeboforscher wissen, dass neben einer hoffnungsvollen Erwartungshaltung auch positive Erfahrungen mit einer Behandlung dazu beitragen, die Symptome zu lindern. Der Patient kann demnach einiges für seine Gesundung tun. Damit dies auch gelingt, sollte der Arzt allerdings überzeugend vermitteln, wie sehr auch er an den Erfolg der Therapie glaubt.

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