Zwei-Klassen-Netz:Googles Verrat an der Internetfreiheit

Selbst Unterstützer des Unternehmens sind entsetzt: Gemeinsam mit dem Provider Verizon bastelt Google an einem zweiten Internet. Dort könnten Premiumdienste teuer für den Kunden werden.

Niklas Hofmann

Ob der 9. August 2010 in den Annalen des Netzes wirklich einmal als Zäsur vermerkt sein wird? Am Montag beendeten der Internetgigant Google und die US-Telefongesellschaft Verizon tagelange Medienspekulationen über den gemeinsamen Vorschlag zur Regulierung des Internets, auf den sich die beiden Konzerne verständigt hatten.

Als vergangene Woche erste Berichte über eine solche Einigung aufkamen, erschien das vor allem deswegen pikant, weil Verizon - wie die anderen Telekommunikationsfirmen - zu den hartnäckigen Opponenten jedes Versuchs gehörte, die derzeit weitgehend unterschiedslose Behandlung von Datenströmen durch die Service-Provider für die Zukunft festzuschreiben.

Google dagegen schien lange die stärkste Stimme im Felde derer zu sein, die derartige Vorschriften einer sogenannten Netzneutralität mit Nachdruck verlangten.

Den nun zwischen den bisherigen Kontrahenten ausgehandelten Kompromissvorschlag stellten die Konzernchefs am Montag auf einer telefonischen Pressekonferenz der Öffentlichkeit vor.

Er besteht im Wesentlichen aus drei Punkten:

Erstens soll im klassischen, auf Hausanschlüssen basierten Internet weiterhin Offenheit und ein diskriminierungsfreier Datentransport garantiert werden. Auch für die Breitbandverbindungen soll dies gesichert werden.

Zweitens aber sollen diese Regeln dann nicht gelten, wenn eine Internetverbindung über Mobilfunk hergestellt wird.

Drittens sollen sie ebenfalls nicht gelten für neue, "zusätzliche Online-Dienste", wie hochauflösende Video-Programme oder Telemedizin.

Was Google nun als Sieg für die Netzneutralität und für ein "offenes Internet" darstellt, würde letztlich einen Abschied auf Raten von der Gleichbehandlung aller Daten im Internet darstellen und den Beginn einer digitalen Zwei-Klassen-Gesellschaft markieren.

Luftige Begründungen

In Zeiten der Smartphones und Tablet-Computer wird der Anteil des mobilen Internets absehbar immer größer, hier liegen die entscheidenden Wachstumschancen. Die hohen Hürden der Netzneutralität sichern nach den Google-Verizon-Vorschlägen dagegen nur den Teil des Marktes, der den Zenit seiner Bedeutung vermutlich überschritten hat.

Und selbst diese Hürden sind bei geschickter Auslegung der Formulierungen zu den Sonderdiensten leicht zu umgehen, denn die Definitionen sind butterweich. Die Begründungen, warum Unterschiede zwischen Festnetz- und Mobilanschluss, zwischen alten und "neuen Diensten" gemacht werden müssen, sind höchst luftig.

Warum sich der Telekom-Chef freut

Am Ende läuft es darauf hinaus, dass das Internet so ist, wie es nun einmal geworden ist, dass es aber neue Geschäftsfelder gibt, die viel zu schade wären, um sie diesem egalitär-anarchischen Umfeld auszusetzen.

De facto, so macht es bei Wired.com Eliot Van Buskirk klar, wird die Etablierung von zwei "getrennten und ungleichen Netzen" angekündigt. Neben dem vertrauten Web, nun als "öffentliches Internet" bezeichnet, entstünde ein höherpreisiger Kanal für Premiuminhalte.

Der Konsum von Filmen und Musik, der Datenaustausch in Wissenschaft, Erziehung und Handel, all das würde nach diesen Vorstellungen primär über die Kanäle des neuen Internets laufen. Ein wesentlicher Teil dessen, was heute das Netz ausmacht, würde wieder stärker unter die Kontrolle durch große Konzerne gelangen.

Das wäre durchaus kongruent mit dem Trend zu einem geschlossenen System leicht konsumierbarer, aber vom Hersteller der Hardware genehmigungspflichtiger Programme, wie sie Apple mit seinen Apps unter das Volk bringt.

Für viele, die sich wirklich mit einem offenen Internet identifizieren, kommt Googles Deal nun einem Verrat gleich. Sogar ein "Google-Fanboy" wie der Journalistik-Professor Jeff Jarvis, der aus seinem Buchtitel "Was würde Google tun?" eine Lebensphilosophie abgeleitet hat, fragt sich, ob der Konzern "böse" geworden sei. "Don't be evil", das war schließlich Googles legendäres Firmenmotto, und sollte bedeuten, dass alles was für die Gesamtheit des Internets und seiner Nutzer gut wäre, es auch für Google sein müsste - und umgekehrt. Doch diese Gleichung scheint der Vorstandschef Eric Schmidt nicht länger aufmachen zu wollen.

Greifen die Regulierer ein?

Nun haben Google und Verizon zunächst nichts anderes getan, als einen Vorschlag zu formulieren. Die zuständige US-Behörde Federal Communications Commission (FCC) könnte durchaus zu dem Schluss kommen, dass eine robustere Regulierung des Marktes notwendig sei. Schließlich hat sich Präsident Obama in seinem Wahlkampf entschieden zur Netzneutralität bekannt. Andererseits hat die freiwillige Einigung so großer Player erhebliches Gewicht.

Und erst vor wenigen Monaten hat ein Bundesgericht die Eingriffsmöglichkeiten der FCC gegenüber Internet-Providern empfindlich eingeschränkt. In Deutschland, dessen Regierung in Sachen Netzneutralität auf den "bestehenden Wettbewerb" vertraut, dürfte für die Vettern von Verizon & Co. die Geschichte zweier Netze nur allzu verlockend klingen.

Dass die Telekom nichts von der Klassenlosigkeit des Internets hält, hat ihr Vorstandschef René Obermann mehrfach klargestellt. Gegenüber dem Online-Magazin Carta unterstrich der Konzern nun noch einmal, dass streng interpretierte Netzneutralität "nicht im Interesse der Allgemeinheit" sei, erstrebenswert sei vielmehr "eine intelligente Steuerung des Internetverkehrs über Qualitätsklassen".

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