ZDF: Thomas Bellut im Gespräch:"Wir erfüllen nur Wünsche"

ZDF-Programmchef Thomas Bellut über den Digitalkanal Neo, unfreundliche Programmierungen der ARD und die Zukunft von Markus Lanz.

Christopher Keil

SZ: Herr Bellut, im November 2009 ersetzte der digitale Spartensender ZDFneo den früheren ZDF-Dokukanal. Was hat Neo dem Zweiten bisher gebracht?

Thomas Bellut, Programmchef ZDF

Von Markus Lanz will er nicht so abhängig sein wie von Vorgänger Johannes B. Kerner, die ARD sorgt beim ZDF für Unterhaltung und Qualitat ist genreunabhängig: Der ZDF-Programmchef Thomas Bellut im Gespräch.

(Foto: Carmen Sauerbrei / ZDF)

Thomas Bellut: Wichtige Erfahrungen, wie man das jüngere Publikum gewinnt. Für 2010 haben wir unser Ziel bereits erreicht: 0,2 Prozent Marktanteil bei allen Haushalten. Nimmt man nur die Haushalte, die Neo empfangen können, sind wir nach nicht einmal einem Jahr bei 0,5 Prozent, und diese Zahl haben wir bei den jüngeren Zuschauern auch erreicht.

SZ: Über wie viele Zuschauer sprechen Sie hier?

Bellut: Das sind bislang Spitzenwerte mit bis zu 250.000 Zuschauern. Mit unserem fiktionalen Angebot um 21 Uhr erreichen wir durchschnittlich rund 100.000 Zuschauer und 0,4 Prozent Marktanteil.

SZ: Und diese 100.000 bis 250.000 Spezialisten kosten den Gebührenzahler jährlich?

Bellut: So viel, wie wir angekündigt haben: 30 Millionen Euro sind in Neo investiert worden. Ein geringerer Teil davon sind nur Neo-Investitionen, ein Teil davon sind Synergie-Investitionen, also die Ausstrahlung von Fernsehfilmen und Serien im ZDF-Hauptprogramm wie bei ZDFneo.

SZ: ARD, ZDF, die Dritten Programme, Arte, 3Sat, digitale Info- und Kulturkanäle, jetzt Neo: Braucht ein öffentlich-rechtliches System so viele Sender?

Bellut: Das ist ein Thema. Aber für ZDFneo kann ich sagen: Dieser Sender hat einen klaren, einen sinnvollen Auftrag, nämlich: ein gutes öffentlich-rechtliches Programm stärker ans jüngere Publikum heranzubringen. Wir wissen, dass der Markt immer mehr aufgeteilt ist, dass ein Sender nicht ständig alle Altersgruppen bearbeiten und abdecken kann. Deshalb war die Strategie richtig, in Neo eine eigene Plattform zu öffnen für die Jüngeren.

SZ: Sie wollen bei Neo auch neue Sendungsformen oder fiktionale Inhalte testen und gegebenenfalls ins ZDF-Hauptprogramm ziehen. Zu sehen ist davon noch nichts.

Bellut: Wir haben erste Erfahrungen beim Ausstrahlen amerikanischer Serien gemacht, es wird einen Talk mit Benjamin von Stuckrad-Barre geben, in der Comedy haben wir wichtige Erkenntnisse in der kostengünstigen Produktion gewonnen, etwa bei der Süper Tiger Show. Und für das Frühjahr 2011 sind weitere Versuche eingeplant, über die ich jetzt noch nichts sagen möchte.

SZ: Stichwort Comedy, Sie sind besonders stolz auf ihr politisches Kabarett (Neues aus der Anstalt) und auf die politische Comedy, also auf die heute-Show mit Oliver Welke. Wird sie verlängert? Der derzeitige Produktionsvertrag läuft im Dezember aus.

Bellut: Wir verhandeln gerade, aber ich sage mal: Es geht weiter. Die heute-Show ist hervorragend und findet auf dem Markt kein Gegenstück. Oliver Welke hat sich als überzeugender Anchor etabliert.

"Die ARD sorgt jedenfalls für Unterhaltung"

SZ: Herr Bellut, die ARD plant große Umbauten am Abend, Günther Jauch wurde verpflichtet, die Tagesthemen sollen von Montag bis Donnerstag einheitlich beginnen, eine neue Late-Talk-Schiene soll eingezogen werden, wobei noch niemand weiß, wie das davon betroffene Moderationspersonal - Frank Plasberg, Anne Will, Harald Schmidt - eingesetzt werden könnte. Machen Sie sich Sorgen?

Bellut: Die ARD sorgt jedenfalls für Unterhaltung. Wir warten gelassen ab, wie die Neusortierung ausfällt. Ich bin gespannt, ob die Ankündigung einheitlicher Tagesthemen-Zeiten an Wochentagen wirklich umgesetzt wird. Frank Plasberg hat eine sehr erfolgreiche politische Sendung etabliert, müsste sie nach den Tagesthemen beginnen, sähe sie anders aus. Was immer passiert, wir sind vorbereitet, auf unfreundliche Programmierungen der ARD zu reagieren.

SZ: Der frühere ARD-Programmdirektor Günter Struve hat sich oft einen Spaß aus heiklen Gegenprogrammierungen gemacht. Wie ist Ihr Verhältnis zu Volker Herres, Struves Nachfolger?

Bellut: Es ist nicht leichter geworden. Da wird sich so schnell nichts ändern. Es läuft aber im Großen und Ganzen gut, so wie bei Struve. Trotzdem gibt es immer wieder unfreundliche Aktionen wie das Gegenprogrammieren von internationalen Krimis gegen unsere Krimileiste sonntags um 22 Uhr.

SZ: Sie gehen doch auch in die Offensive, setzen jetzt die frühere ARD-Showgröße Jörg Pilawa mit einem neuen Quiz an Mittwochabenden gegen den gut laufenden ARD-Fernsehfilm der Woche.

Bellut: Wir sind sportlich. Doch wir erfüllen nur Wünsche. Die ARD hat immer gesagt: Bitte sendet keine Fiktion gegen unseren Fernsehfilm am Mittwoch. Genau das werden wir jetzt umsetzen. Es wird nur noch in Ausnahmefällen, an Feiertagen oder wenn die ARD Fußball zeigt, mittwochs Fiktion geben.

SZ: Eine Problemzone der ZDF-Unterhaltung ist der späte Abend. Früher stabilisierte und steigerte dort Johannes B. Kerner mit seinen täglichen Plaudereien und Kochereien Quoten und Marktanteile. Kerners Nachfolger Markus Lanz soll bei RTL im Gespräch sein, als Frontmann für Stern-TV.

Bellut: Ich bin mit Markus Lanz sehr zufrieden, wir werden in den nächsten Wochen zu einer Verlängerung seines Vertrages kommen, da bin ich mir sicher. Und auch Johannes B. Kerner, der in der Tat eine sehr erfolgreiche Zeit beim ZDF hatte, brauchte einige Jahre, um sich als Marke zu etablieren. Bei Markus Lanz ist die Tendenz klar aufsteigend.

SZ: Nach der Sommerpause wird er wie Kerner früher vier-, fünfmal zu sehen sein. So eine Abhängigkeit von einer Person wollten Sie nicht mehr.

Bellut: Das ist nicht die Zukunft, sondern eine Übergangslösung. Markus Lanz tut mir einen Gefallen. Auf Dauer möchte ich ein differenziertes Angebot am späten Abend, Lanz wird dabei mindestens zweimal wöchentlich auftreten.

Qualität ist nichts Genrespezifisches

SZ: Definieren Sie einmal öffentlich-rechtliche Unterhaltungsqualität im Unterschied zur TV-Unterhaltung kommerzieller TV-Veranstalter.

Bellut: Qualität ist für mich etwas Grundsätzliches, nichts Genrespezifisches. Das Gesamtprogramm eines öffentlich-rechtlichen Senders verdient einen Standard der Anständigkeit. Natürlich gelingen uns auch nicht alle Programme. Aber der Unterschied zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten Sendern wird künftig eher noch deutlicher, mir ist deshalb nicht bange. Auch wenn RTL gerade mit dem flacheren Programm im Doku-Entertainment-Bereich Erfolg hat.

SZ: Wer viel über Qualität spricht, so wie ARD- und ZDF-Manager, müsste weniger über Quote philosophieren. Doch eher das Gegenteil ist der Fall. Müsste ein selbstbewusstes, glaubwürdiges öffentlich-rechtliches System nicht weniger Wert auf Quote legen?

Bellut: Wenn wir nur auf Quote achten würden, sähe unser Schema ganz anders aus. Quote hat trotzdem Bedeutung, denn jeder nationale Sender muss eine spürbare Akzeptanz erreichen, weil sonst die Gefahr besteht, überhaupt nicht mehr angelaufen zu werden vom Publikum. Jede wichtige Botschaft braucht Publikum.

SZ: Wie groß muss die spürbare Akzeptanz beim Publikum mindestens sein? 13, 14 Prozent?

Bellut: Klar über zehn Prozent zu sein, sich in der Top-Gruppe der führenden Sender zu halten, halte ich für absolut notwendig. Niemand weiß, wie sich der Markt in fünf oder zehn Jahren zeigt. Es gibt die Tendenz, dass die großen Kanäle verlieren zugunsten der kleineren. Deshalb hat sich das ZDF zur Flottenstrategie entschieden, um mit Spartensendern wie Neo einen Teil der Zuschauer besser zu erreichen.

SZ: Die Online-Ausweitung von ARD und ZDF, ihr umfassendes Angebot in Bild, aber auch in Text, führte zu einer inzwischen chronischen Kontroverse mit Verlegern und Verlagen. Warum kann das öffentlich-rechtliche System kein Maß halten? Textbasierte Portale wären problemlos der Presse zu überlassen.

Bellut: Alle mir vorliegenden Daten zeigen, dass die Aufregung, die es da gibt, nicht nachvollziehbar ist. Das Signal, das ZDF-Intendant Markus Schächter ausgesendet hat, ist: Die Konflikte sind beherrschbar. Die wahren, bedrohlichen Veränderungen für die Presse werden nicht vom ZDF ausgehen. In meinem Bereich ist auffällig, dass alles, was sich direkt mit dem Programm beschäftigt oder aber das Programm über das Internet wiedergibt, für unser Publikum entscheidend ist. Die Reihe Die Deutschen hatte im Netz bis zu 600.000 eigene Zuschauer, überwiegend junge übrigens. Vor allem die Öffnung des ZDF in den Übertragungswegen aber auch in der Programmbegleitung, wenn Informationen zu Sendungen angefragt werden, ist für uns wichtig.

SZ: Ihr ehemaliger Kollege Nikolaus Brender wurde im Frühjahr vom unionsbeherrschten Verwaltungsrat des ZDF aus dem Amt des Chefredakteurs gedrängt, obwohl Intendant Schächter ihn für eine weitere Arbeitsperiode vorgeschlagen hatte. Wie viel Schaden ist geblieben?

Bellut: Die Diskussionen um meinen Kollegen Nikolaus Brender haben uns alle belastet.

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