US-Einsatz im Irak:Ein Krieg, den alle verloren haben

Vom Feldzug gegen Saddam Hussein versprach sich US-Präsident Bush einst nur Vorteile - längst zeigt sich, dass Amerika weitaus mehr verloren hat als den Krieg.

Oliver Das Gupta

Bevor der erste Schuss gefallen war, zeichnete der Präsident noch einmal ein düsteres Szenario: "Die Gefahr ist klar", konstatierte George W. Bush in einer Ansprache am 18. März 2003. "Indem sie chemische, biologische und, eines Tages, nukleare Waffen einsetzen könnten, würden die Terroristen (...) ihre Ziele erreichen (...) und Hunderttausende unschuldige Menschen umbringen, in unserem Land oder jedem anderen."

US-Soldaten bei einer Kommando-Aktion im Großraum Bagdad. Das Foto entstand im Jahre 2008.

US-Soldaten bei einer Kommando-Aktion im Großraum Bagdad. Das Foto entstand im Jahr 2008.

(Foto: AP)

Insgesamt fünf Mal nennt Bush das Wort "Massenvernichtungswaffen" in seiner Rede. Der irakische Diktator Saddam Hussein und islamistische Terroristen wie al-Qaida kooperierten dem US-Präsidenten zufolge; ein blutrünstiger Potentat werkelte gemeinsam mit den Drahtziehern des 11. September 2001 an der Atombombe - ein Horrorszenario, das einen Feldzug gegen den Irak zwingend machen würde.

Zwei Tage nach dieser Rede Bushs begann der Krieg. Nun pries der Commander-in-Chief die eigenen Truppen, zuversichtlich kündigte er einen heroischen Sieg an.

Bush versprach allen Amerikanern und der "ganzen Welt": "Die verbündeten Streitkräfte" würden "alles tun", um "unschuldige Zivilisten zu schonen." Und ein paar Sätze später beteuerte er: "Wir werden diese gefährlichen Zeiten hinter uns lassen."

Mehr als sieben Jahre später zieht Bushs-Amtsnachfolger Barack Obama die letzten Kampftruppen aus dem Zweistromland ab. Die Bilanz der Invasion ist völlig anders als Bush prophezeite: Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins konnten ebenso wenig gefunden werden wie ein Konnex des Tyrannen zu islamistischen Terroristen.

Immenser Blutzoll der Zivilbevölkerung

Nach dem schnellen Sieg über Husseins Truppen war der Krieg längst nicht beendet: Bis heute erschüttern Tag für Tag Anschläge den Irak, das Land gilt als eines der unsichersten der Welt. Die Gegend um die Flüsse Euphrat und Tigris ist längst ein Dorado für Terroristen geworden, der mächtige Nachbar Iran baut durch die machtpolitische Implosion des Irak seine Hegemonie in der Region aus.

Von Bushs vollmundig angekündigter irakischer Demokratie nach westlichem Muster kann keine Rede sein, zu sehr misstrauen und hassen sich Schiiten, Sunniten und Kurden. Auch zwei Parlamentswahlen können nicht kaschieren, wie chaotisch und zerrissen das Land tatsächlich ist.

Der Blutzoll der irakischen Bevölkerung ist seit 2003 immens. Der Iraq Body Count spricht von mehr als 100.000 zivilen Toten, das würde bedeuten: 14.000 pro Jahr seit Ausbruch des Krieges. Andere Organisationen gehen zum Teil von wesentlich mehr Opfern aus. Zwar starben neun von zehn der zivilen Opfer seit 2003 durch andere Iraker oder ausländische Terroristen.

Doch die als Kollateralschäden abgetanen zivilen Opfer, die irrtümlich an Straßensperren erschossenen Familienväter festigten das Bild vom hässlichen amerikanischen Besatzer. Ikonen der Grausamkeit der durch Bilder belegbaren Exzesse von Seiten der US-Armee. Sie trübten das Bild der Besatzungsmacht in der islamischen Welt insgesamt.

Folterfotos aus dem Gefängnis von Abu Ghraib schienen Bushs Ankündigung, dem "unterdrückten irakischen Volk" Frieden und Sicherheit zu bringen, ad absurdum zu führen. Die unlängst von Wikileaks veröffentlichten Video-Aufnahmen, die dokumentieren, wie skrupellos und zynisch kommentierend eine US-Helikopterbesatzung harmlose Zivilisten abknallt, dürften den Ruf Amerikas im Nahen und Mittleren Osten zusätzlich nachhaltig geschädigt haben.

Auf Seiten der internationalen Truppen fielen nach Angaben der unabhängigen Website icasualties.org 4733 Soldaten, darunter 4415 aus den USA. Großbritannien verzeichnete mit 139 Toten die zweitmeisten Opfer. Hinzu kommen mindestens 12.000 getötete irakische Sicherheitskräfte.

Verheerende Außenwirkung

Die Zahl der toten US-Soldaten ist gering im Vergleich zu den Kriegen in Korea und Vietnam, wo insgesamt fast 100.000 GIs gestorben waren. Allerdings stellt die Irak-Invasion den verlustreichsten US-Militäreinsatz dieser Generation dar. Zudem kehrten Zehntausende Veteranen versehrt vom Golf zurück: Schwer verletzt und traumatisiert, oft für den Rest des Lebens.

Die machtpolitische Außenwirkung des Krieges ist nicht minder verheerend: Die Bush-Administration wollte militärische Stärke der Supermacht demonstrieren und ein abschreckendes Exempel statuieren für alle Staaten, die nach der Atombombe streben. Diese Ziele wurden nicht erreicht, im Gegenteil: Desaströs wirkt die Tatsache, dass die modernste Armee der Welt Gegnern nicht beikommen konnte, sobald diese asymmetrisch agierten: Einem Gegner, der sich nicht scheut, Selbstmordattentäter loszuschicken und zivile Opfer in Kauf nimmt, kann man ebensowenig mit Panzern beikommen wie Kämpfern, die nach Guerilla-Taktik hier und dort auf- und abtauchen.

Ebenso scheiterte die Strategie, die Ausbreitung von Nuklearwaffen einzudämmen, vielmehr kam es zu einer folgenreichen Gegenbewegung: Totalitäre Staaten wie Nordkorea und Iran forcierten ihre Atomprogramme; wohl auch deswegen, weil es scheint, dass im Ernstfall nur der Besitz der Bombe vor einer Invasion fremder Mächte schützt.

Auch auf der diplomatischen Ebene wirkte sich die Strategie Washingtons drastisch aus: Bush, der einem strikten Freund/Feind-Schema anhing, erreichte mit seinem auf einen bewaffneten Konflikt ausgelegten Kurs, dass wichtige Verbündete auf Abstand gingen.

Die staatenübergreifende Solidarität, die die USA nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon erfahren hatten, erlosch, als 2002/2003 deutlich wurde, dass Bush offenkundig nicht an einer friedlichen Lösung in der Causa Irak interessiert war.

Diplomatische Schäden, die bis heute wirken

Ein Riss ging durch die Nato und durch Europa, traditionell befreundete Staaten wie Deutschland und Frankreich agierten offen gegen den US-Kurs, auch Russland stemmte sich kraftvoll gegen Bushs Pläne.

Der Schaden an den diplomatischen Banden wirkt sich noch heute aus, da Bushs Nachfolger Obama versucht, den Atomstreit mit Iran friedlich zu lösen durch ein geschlossenes Auftreten der Staatengemeinschaft gegen Teheran. Moskau und China bremsen bislang Washingtons Bemühen, eine Phalanx gegen das iranische Regime zu bilden.

Folgenreich war auch die Nebenwirkung der Irak-Invasion andernorts: Amerikas anderer Krieg, der in Afghanistan, wurde durch die Irak-Invasion an den Rand der Wahrnehmung gedrückt. Damals wäre es vielleicht möglich gewesen, den Konflikt zu lösen, doch Bush nahm sich den Irak vor, ohne den "Job" in Afghanistan zu erledigen. Nun ist die Gelegenheit lange vorbei. Die radikalislamischen Taliban scheinen stärker den je zu sein. Militärisch und politisch ist das Land am Hindukusch durch den Westen wohl nicht mehr zu befrieden.

Zudem verschlang der Feldzug im Irak bislang eine immense Menge Geld: Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stieglitz taxierte im Jahre 2008 die Gesamtkosten auf bis zu 2,7 Billionen Dollar - eine Summe, die mitverantwortlich ist für das gigantische Defizit, das sich während der Bush-Jahre in den US-Haushalt gefressen hat.

Beschädigte Reputation

Angesichts der dramatischen Kosten der Wirtschafts- und Finanzkrise hat US-Präsident Barack Obama inzwischen dem Militär einen rigiden Sparkurs verordnet. Der Rückzug aus dem Irak soll die Kosten weiter senken.

Vielleicht haben die Vereinigten Staaten den Krieg im Irak nicht verloren. Doch gewinnen - so wie George W. Bush das 2003 versprochen hatte - konnte Washington ihn aber auch nicht.

Und der Feldzug hat die USA weit mehr gekostet als sich Bush je hätte vorstellen können: Die Glaubwürdigkeit der globalen Führungsmacht Nummer eins hat erheblich gelitten. Es wird lange dauern, bis die Reputation Washingtons wieder auf dem Stand ist wie vor der Invasion.

Manche Beobachter sehen Irak bereits als historische Zäsur an: Ein Fanal für den Niedergang Amerikas.

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