Koalition pro Atomstaat:Die Öko-Propaganda der Angela Merkel

Die Öko-Propaganda der Koalition von Kanzlerin Merkel ist geradezu unverfroren. Nach den AKW-Entscheidungen zu längeren Laufzeiten steht fest: Saubere Energien leiden, Stromkonzerne profitieren, Minister Röttgen scheitert. So kann Deutschland seinen Frieden mit der Kernenergie nicht schließen.

Michael Bauchmüller

In Sachen Atom mutet die Bundesregierung dem gesunden Menschenverstand derzeit eine ganze Menge zu: Ausgerechnet längere Laufzeiten für Kernkraftwerke, so werben Union und FDP, sollen den erneuerbaren Energien ganz neue Perspektiven verschaffen. AKWs für den Ökostrom? Das ist ungefähr so, als wollte sie den Bau neuer Autobahnen als Durchbruch für Radfahrer feiern. Mit anderen Worten: blanker Unsinn.

Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht das Trianel-Steinkohlekraftwerk in Luenen

Die Atom-Strategie von Angela Merkel geht hinten und vorne nicht auf. Doch sie setzte sich durch. Der Einzige in ihrer Koalition, der die Chancen eines schnelleren Umstiegs auf regenerative Energien erkannte, war ihr Umweltminister Norbert Röttgen (links), doch er unterlag.

(Foto: ddp)

Die seltsamen Pirouetten illustrieren die Lage, in die sich Angela Merkels Koalition bei der Kernkraft manövriert hat. Einerseits sehen weder Union noch FDP in Atomkraftwerken die Zukunft, andererseits haben sie ihren Wählern eben diese Zukunft versprochen. Diesen Gegensatz wollten sie überwinden mit dem Wort vom "regenerativen Zeitalter", das diese Regierung einleiten werde. Die Atomkraft müsse die Brücke dahin bauen. Und wer würde gegen eine Ära sauberer Energie etwas einwenden wollen?

Nur geht die Strategie vorne und hinten nicht auf. Zum einen wird die Koalition nach der Atomnacht im Kanzleramt kaum schlüssig darlegen können, dass es ihr um Öko-Energien ging. Faktisch haben Kanzlerin, Minister und Parteichefs nur um Laufzeiten gepokert. Sie suchten weniger nach der idealen Länge ihrer Öko-Atom-Brücke, sondern nach einer gesichtswahrenden Lösung für alle Beteiligten. Und zum anderen entscheidet über die Zukunft der erneuerbaren Energien nicht die Frage, wie viel Geld die Bundesregierung den Konzernen abknöpft. Sondern ganz allein, ob sich Investitionen in Windparks und Biomassekraftwerke rechnen. Die Aussicht darauf hat sich in der Nacht zum Montag nicht gebessert, sie hat sich verdüstert.

Denn bis weit in die Mitte des Jahrhunderts hinein wird Ökostrom nun mit Atomstrom konkurrieren müssen. Immer häufiger wird der erneuerbare Strom mit dem konventionellen um Platz im Netz konkurrieren. Bislang kann Ökostrom grenzenlos eingespeist werden, er hat stets Vorrang vor Kohle- oder Atomstrom. Doch schon wachsen die Zweifel an diesem Privileg - schließlich verträgt sich der schwankende Windstrom schlecht mit den wenig flexiblen Kohle- und Atomkraftwerken.

Flexible, kleine Gaskraftwerke? Die werden erst einmal nicht gebaut: Es gibt ja noch die Atomkraft. Im Norden hätte die Abschaltung älterer Reaktoren neue Wege eröffnet für Windstrom von der See. Und jetzt? Der Pannenmeiler Brunsbüttel darf fast bis 2020 Strom erzeugen, sein jüngerer Bruder Krümmel sogar bis 2030. Ein Durchbruch für Öko-Energien? Lachhaft.

Die Bundesrepublik wird an dieser Entscheidung wenig Freude haben, denn Frieden wird dieses Land so nicht mit der Atomkraft schließen. Dabei lag gerade da die Chance dieser Koalition. Sie hätte mit einer Verlängerung um fünf oder sechs Jahre und einer überzeugenden Gesamtstrategie tatsächlich Brücken bauen können - nicht nur für den Umbau der Stromversorgung, sondern auch zu Gegnern der Kernkraft. Dafür allerdings hätten Union und FDP darlegen müssen, wie konkret die Kernkraft durch regenerative Energien abgelöst werden soll. Der Einzige, der diese Chance erkannte, war Umweltminister Norbert Röttgen. Er unterlag.

Was bleibt, ist ein Kompromiss entlang des Längstmöglichen. Liegen die Ministerien für Inneres und Justiz richtig, dann sind zwölf Jahre zusätzliche Laufzeiten hart an der Grenze des Verfassungsmäßigen; gerade noch so ließen sich die Bundesländer aus der Entscheidung heraushalten. Ob das Bundesverfassungsgericht dies auch so sieht, wird sich zeigen müssen; Klagen sind sicher.

In punkto Sicherheit ist zwar die Frage aufgeworfen, warum die gefährlichsten Anlagen dieses Landes keinen Schutz vor Terroranschlägen aus der Luft aufweisen müssen; seit dem 11. September 2001 ist diese Frage wohl berechtigt. Beantwortet ist sie aber nicht. Die Auflagen werden nun so gestrickt, dass selbst die ältesten Meiler ihre acht Jahre extra erhalten. Echte Sicherheit sieht anders aus.

Auch kann der Bund nun zwar gleich zweifach bei den Energiekonzernen kassieren, einmal per Steuer, einmal durch einen "freiwilligen" Beitrag der Unternehmen. Aber selbst bei vorsichtiger Berechnung wird sich das kaum auf die eigentlich angepeilte Hälfte der zusätzlichen Gewinne summieren. Anders ausgedrückt: Der Bund, letztlich auch der Steuerzahler, hat den vier größten Stromkonzernen ein Milliardengeschenk gemacht. Es ist nicht das erste seiner Art. Die Börsen danken es auch diesmal.

All das macht die Ökoenergie-Propaganda dieser Koalition geradezu unverfroren. Sie hat sich der Modernisierung verschrieben, doch sie fördert das Althergebrachte. Sie redet neuen, dezentralen Energieformen das Wort, macht aber deren schärfste Konkurrenten stärker. Schwerer noch wiegt, dass diese Entscheidung wieder nur eine auf Zeit ist.

Welche Zukunft die Atomkraft hat, darüber werden Verfassungsrichter befinden und vermutlich auch die nächste Koalition. So lange wird die Unsicherheit über die Zukunft des deutschen Strommarkts fortdauern, sie macht jede ordentliche Kalkulation unmöglich und verhindert so Investitionen in saubere Energien. Nutzen daraus zieht nur das Quartett der Atomkonzerne.

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