Rauch im Cockpit:Tödlicher Blindflug

Rauch im Cockpit bedeutet für Jet-Piloten höchste Gefahr, doch die Luftfahrtbranche tut zu wenig, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Andreas Spaeth

Es muss die Hölle gewesen sein im Cockpit der Boeing 747-400F, einer Frachtmaschine des Paketdienstes UPS, die in Dubai zum Flug nach Köln/Bonn gestartet war. Bereits 22 Minuten nach dem Start kündigten die beiden Piloten über Funk an, dass sie wegen Rauch und Feuer im Cockpit nach Dubai zurückkehren müssten - dann aber muss sich die bedrohliche Situation sehr schnell verschlimmert haben. Denn der erst drei Jahre alte Frachtjet überflog den Flughafen zweimal in zu großer Höhe für eine Landung; den Piloten gelang es auch nicht mehr, die richtige Funkfrequenz einzustellen.

Flugzeugabsturz in Dubai

Luft-Post: Für den interkontinentalen Transport setzt UPS die Frachtversion der Boeing 747-400 ein; ein solcher Jet stürzte jetzt ab.

(Foto: dpa)

Alles deutet mittlerweile daraufhin, dass die Cockpitbesatzung handlungsunfähig war, in dichtem Rauch ihre Instrumente nicht ablesen oder keinen Blick nach draußen werfen konnte. Nach genau 50 Minuten Flugzeit, 28 Minuten nach der Umkehr-Meldung, stürzte das riesige Flugzeug in ein leeres Militärgelände und riss beim Aufprall eine lange Schneise. Beide Piloten kamen ums Leben.

"Nach dem Ausbruch eines Brandes mehr als eine halbe Stunde in der Luft zu bleiben ist ziemlich lang", wundert sich Georg Fongern, selbst Airbus-Pilot bei Lufthansa und Vertreter der internationalen Pilotenvereinigung Ifalpa.

Denn nach dem Absturz von Swissair-Flug 111 im September 1998 infolge eines Cockpitbrandes hatte sich die Handlungsanweisung für Piloten bei Feuer und Rauch an ihrem Arbeitsplatz gründlich geändert. "Wenn es eine Landemöglichkeit gibt, und die hatten die UPS-Piloten, kümmert man sich nicht um die Ursache des Feuers, sondern sieht zu, dass man so schnell wie möglich runterkommt", so Fongern.

Das sei heute anders als vor dem Swissair-Unglück, als man nach dem Grund für den Rauch gesucht und langwierige Checklisten abgearbeitet habe. Heute gilt unter Piloten eine Viertelstunde als die Frist, in der man ein Flugzeug mit Rauch im Cockpit spätestens am Boden haben sollte. "Bei Feuer an Bord hat man maximal 15 Minuten, weil nach 20 Minuten ein Unfall fast garantiert ist. Ich würde versuchen, in elf Minuten am Boden zu sein", schreibt ein Pilot im wichtigsten Internet-Branchenforum.

Tatsache ist, dass Rauch im Cockpit sehr häufig vorkommt. Jüngste Studien gehen von mehr als 1000 Vorfällen im Jahr weltweit aus, die in über 350 außerplanmäßigen Landungen resultieren. Danach sei einer von 5000 Flügen betroffen. Allein zwischen Ende Juli und Ende August 2010 wurden fünf Fälle bekannt, zwei betrafen Lufthansa-Flüge.

Abhilfe wäre vorhandenm, aber ...

"Die Ursachen sind meist eher harmlos wie vergessene Brötchen im Backofen oder im Winter Rauchentwicklung durch Enteisungsflüssigkeit in der Klimaanlage", sagt Georg Fongern, "aber die Piloten sind sensibilisiert und machen lieber eine Notlandung zu viel."

Doch insgesamt tut die Luftfahrtbranche zu wenig, um das seit langem bekannte Problem in den Griff zu kriegen. Flugzeughersteller müssen bei der Zulassung neuer Typen nicht nachweisen, dass sich anhaltend austretender Rauch aus dem Cockpit mit Bordmitteln entfernen lässt; nur unter praxisfernen Testbedingungen muss ein rauchgefülltes Cockpit nach drei Minuten Ventilation wieder rauchfrei sein.

Die Industrie scheut die Kosten nötiger Änderungen an Zapfluftsystemen, Klimaanlagen und Auslassventilen. "Die Hersteller ignorieren das Problem anhaltend", klagt Nick Lacey, ehemaliger Mitarbeiter der US-Luftfahrtbehörde FAA. Durch die Digitalisierung im Cockpit mit immer mehr Elektronik hat sich die Brandwahrscheinlichkeit noch verstärkt. Auch die von Piloten benutzten Laptops sind eine Gefahr, so Georg Fongern: "Die feuergefährlichen Lithium-Ionen-Akkus darin bereiten uns Kopfzerbrechen."

Aber selbst wenn Feuer ausbricht und Gegenmaßnahmen nicht wirken, muss ein Vorfall nicht in der Katastrophe enden. Die beiden UPS-Piloten könnten womöglich noch am Leben sein, hätten sie ein ebenso simples wie günstiges und einfach zu bedienendes Hilfsmittel zur Verfügung gehabt. Bisher tragen Flugkapitäne bei Rauchentwicklung Sauerstoffmaske und Schutzbrille. Doch das nützt wenig, wenn sie durch starke Verqualmung nichts mehr sehen können, wie vermutlich in Dubai.

Hier würde das Emergency Vision Assurance System (Evas) helfen, eine Art transparentes Notzelt für Piloten. Mit einem batteriegetriebenen Filter schafft Evas innerhalb einer Plastikfolie einen rauchfreien Raum zwischen der Schutzbrille des Piloten, den Instrumenten und einem Teil der Cockpitscheibe. Das System ist von der FAA zugelassen, die US-Airline JetBlue sowie der Frachtflieger FedEx haben große Teile ihrer Flotten damit ausgestattet. Sonst bisher niemand.

Da muss wohl erst noch Schlimmeres passieren.

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