BDI-Chef Keitel:"Mit Umweltminister Röttgen war nicht zu reden"

Abrechnung mit der Regierung: BDI-Präsident Keitel über die dringend nötige Berechenbarkeit von Politik und seine harsche Kritik an Umweltminister Röttgen.

Markus Balser und Marc Beise

Nach der heftigen Auseinandersetzung um längere Atomlaufzeiten in Deutschland eskaliert der Streit um die politische Kultur in Deutschland. Die Politik sei in schlechtem Zustand, sagt der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Ich vermisse Entscheidungen, die sich an mehr orientieren als am eigenen Vorteil." In der Ökosteuerdebatte wirft Keitel Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Vertragsbruch vor und fordert Nachbesserungen am gerade verabschiedeten Energiekonzept. Es gehe über das hinaus, "was wir leisten können."

Tag der Deutschen Industrie - Merkel, Keitel

Pure Harmonie? Mitnichten! BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sagt über die Politik der Merkel-Regierung: "Die Politik muss berechenbarer sein."

(Foto: picture-alliance/ dpa)

SZ: Herr Keitel, die Atmosphäre zwischen den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft war selten gespaltener als seit Ihrer Kampagne für längere Atomlaufzeiten. Sie reden doch häufig mit der Kanzlerin. Warum schicken Sie ihr dann offene Briefe in Millionenauflage?

Hans-Peter Keitel: Achtung: Etikettenschwindel! Das war ein Appell für den Vorrang erneuerbarer Energien und für ein ausgewogenes Energiekonzept als realistischen Weg dorthin. Der war an die Öffentlichkeit gerichtet, deshalb die Millionenauflage. Und klar: Mit jemandem reden und ihn erreichen - das kann mitunter ein gewaltiger Unterschied sein. Um es klar zu sagen: Die Wirtschaft hat die Regierung in den vergangenen Wochen mit ihren Argumenten nicht immer erreicht. Da hat sich über längere Zeit einiges angestaut.

SZ: Vielleicht hatten Sie die falschen Argumente?

Keitel: In der Sache kann man ruhig streiten, aber das muss dann ein Dialog sein. Mit Bundesumweltminister Norbert Röttgen war nicht zu reden. Selbst die Faktenlage hat an seiner Meinung nichts geändert.

SZ: Sie haben ihn eben nicht überzeugt.

Keitel: Er hat uns keine Chance gegeben. In vielen Unternehmen war der Punkt erreicht, an dem man sagt: So kann es nicht weitergehen. Wir waren in unserer Verantwortung zum Handeln gezwungen - weil das Energiekonzept in Gefahr war und damit die Zukunft von Industrie und Jobs. Die Unterzeichner des Aufrufs sind ja keine Radikalen. Das sind zum großen Teil Unternehmer und Manager, die man sonst nicht zu solchen Unterschriften bewegt.

SZ: Bei Ihnen mag Druck abgelassen worden sein, die öffentliche Wahrnehmung jedenfalls war verheerend. Es entstand der Eindruck, dass Sie die Politik erpressen wollten. Und wenn man den Energiekompromiss ansieht, offenbar mit Erfolg.

Keitel: Jetzt übertreiben Sie gewaltig. Mit Erpressung hat das nun wirklich nichts zu tun. Wir haben in der Energiepolitik einen klaren Fahrplan für die nächsten Jahrzehnte gefordert - nicht mehr und nicht weniger. Dafür haben wir viel Zustimmung erhalten.

SZ: Vor allem haben Sie viel mehr bekommen, als Ihnen der Bundesumweltminister zugestehen wollte. Die Meiler laufen länger, und die Brennelementesteuer, die die Konzerne zahlen müssen, fällt niedriger aus als gedacht: Die Branche muss statt 3,1 weniger als 2,3 Milliarden Euro zahlen. Zufrieden?

Keitel: Sie zitieren einzelne jährliche Beträge. In der Summe zahlen die Energiekonzerne mehr als ursprünglich angedacht. Nun steht aber ein Konzept dahinter, wie wir die Zukunft der Energieversorgung durch erneuerbare Energien auch tatsächlich erreichen können, das ist entscheidend. Dafür brauchen die Energiekonzerne ausreichende Mittel für Investitionen. Wer sonst soll das denn umsetzen?

SZ: Die Kanzlerin schwärmt vom Energiekonzept als großem Wurf. Der BDI vertritt grüne Branchen und Kernkraftbetreiber. Wie fällt Ihr Urteil aus?

Keitel: Die Kanzlerin hat recht. Es ist doch erstaunlich: Die Regierung entwirft das weltweit ambitionierteste Programm für eine Energiewende, und keiner merkt es. Geredet wird nur über den Teilaspekt der Laufzeiten für die Kernkraftwerke. Erstmals werden in der Energiepolitik Lippenbekenntnisse von einem Konzept abgelöst. Es wird viel, viel Geld kosten, aber auch massive Investitionen in unsere Zukunft mobilisieren. Es treibt die Energie klar in eine grüne Richtung. Es zeigt, wie wir in eine andere Energiezukunft kommen. Mit allen Vor- und Nachteilen.

SZ: Was meinen Sie konkret?

Keitel: Es geht ja nicht nur um Milliardenkosten für die Wirtschaft. In Zukunft wird jeder einzelne gefordert sein: die Industrie wie die privaten Haushalte. Ich will ganz deutlich sagen: Wir müssen uns alle am Riemen reißen und endlich einsehen, dass wir mit einer Verweigerungshaltung noch nicht einmal den Einstieg in dieses Programm schaffen. Wer heute gegen Stuttgart 21 demonstriert, der muss wissen, dass es morgen um Hunderte Kilometer an Übertragungsleitungen und um neue konventionelle Kraftwerke geht. Die werden sich nicht nur auf den Grundstücken der jeweiligen Nachbarn bauen lassen!

"Ich will nicht die alten Schlachten schlagen"

SZ: Kritiker halten die Absprachen für eine Luftnummer. Experten beklagen unrealistische Annahmen zum Beispiel bei der Gebäudesanierung und dem angenommenen Potential der Stromeinsparung in Deutschland.

BDI-Chef Keitel: BDI-Chef Hans-Peter Keitel: "Ich will nicht die alten Schlachten schlagen."

BDI-Chef Hans-Peter Keitel: "Ich will nicht die alten Schlachten schlagen."

(Foto: Stephan Rumpf)

Keitel: Richtig ist: Es gibt Annahmen, die über das hinausgehen, was wir alle derzeit mit vertretbarem Aufwand leisten können. Die Vorgaben für die Gebäudesanierung sind gewaltig. Auch die Stromeinsparungen sind sehr hoch angesetzt. Wir werden der Regierung in der nächsten Zeit darlegen, was machbar ist. Da wird im parlamentarischen Prozess sicher noch nachgearbeitet werden. Auf der Kostenseite ist das für die Wirtschaft eine hohe Belastung.

SZ: Energiekonzerne hoffen bei den Laufzeiten auf mehr und sprechen schon von einer weiteren Verlängerung in acht Jahren. Sie auch?

Keitel: Nein. Die Laufzeitendiskussion ist aus meiner Sicht seit einer Woche ein für allemal zu Ende - und das ist richtig. Zu dieser Entscheidung zu kommen, war sehr schmerzhaft. Es kann sich niemand leisten, noch mal von vorne anzufangen. Ich bin auch Realist genug, um zu wissen, dass es in Deutschland nie mehr einen neuen Standort für ein Kernkraftwerk geben wird. Das ist es für die Atomkraft in Deutschland.

SZ: Ihre Kritik personifiziert sich am Bundesumweltminister. Ist Röttgen in der Wirtschaft endgültig unten durch?

Keitel: Darum geht es nicht. Ich weiß und respektiere, dass er Minister für die Umwelt ist und ambitionierte Ziele hat. Die haben wir auch, und zwar häufig dieselben. Aber die Diskussion in den vergangenen Monaten darüber, wie wir es gemeinsam schaffen können, hat viele Unternehmer maßlos enttäuscht.

SZ: Was genau?

Keitel: Ich will nicht die alten Schlachten schlagen. Wir hatten vor dem Umweltgipfel in Kopenhagen eine glasklare Verabredung mit der Politik. Ziel war es, gemeinsam für strengere Klimaziele einzutreten - aber nicht einseitig nur in Deutschland. Andere sollten sich ebenfalls bewegen. Wir waren sehr überrascht, als der Minister diese für das Industrieland Deutschland notwendige Bedingung zur Disposition gestellt und dafür plädiert hat, einseitig voranzugehen. Wir halten das für unvernünftig.

SZ: Warum sind strengere Klimaziele für Sie unvernünftig?

Keitel: Wenn sie einseitig gelten, gewinnen wir nichts, auch nicht für das globale Klima, aber verlieren viel. Die Vermeidungskosten steigen bei einer Minderung von mehr als 30 Prozent CO2 stark an. Die Folge ist die Abwanderung von Industriebetrieben dorthin, wo es keine strengen Vorgaben gibt. Keine Industrie der Welt hat höhere Einsparziele realisiert als die deutsche. Wir setzen uns mit hohem Engagement für Klimaschutz ein und realisieren das Tag für Tag in unseren Betrieben. Einseitiges Vorpreschen würde für die deutsche Wirtschaft und damit für uns alle enorm teuer, aber nicht helfen.

SZ: Die Energiedebatte war nur die Spitze des Eisbergs. In Berlin kracht es an vielen Ecken. Was stört Sie am Erscheinungsbild der Regierung?

Keitel: Die Politik muss - wie jetzt mit dem Energiekonzept - berechenbarer sein, das wünschen wir uns. Es wurden immer wieder Versprechen kassiert. Die Erhöhung des Arbeitgeberanteils zur Krankenversicherung war der Bruch eines Wahlkampfversprechens. Schlimmer ist die Ökosteuerdebatte. Da geht es um Vertragsbruch. Die Regierung hat besonders sensiblen Branchen bis Ende 2012 eine ermäßigte Ökosteuer zugesagt. Wir haben uns im Gegenzug zu ehrgeizigeren Klimazielen verpflichtet und diese erfüllt. Nun will die Regierung plötzlich aussteigen, weil Geld in der Staatskasse fehlt. Damit zahlen manche Unternehmen sieben Mal mehr Steuern auf Energie. Die ersten Firmen stecken in der Existenzkrise. Das nehme ich sehr ernst.

SZ: Das klingt, als würde der Graben zur Regierung immer größer.

Keitel: Das Problem ist der Zustand der gesamten Politik, wie Politik gemacht wird und wie wir mit Politik umgehen. Wir alle haben Verantwortung für den Standort Deutschland und für Millionen Arbeitsplätze. Ich plädiere für Entscheidungen, die sich an mehr orientieren als am eigenen taktischen Vorteil. Ich vermisse die Einsicht, dass es wichtigere Ziele gibt als Mehrheiten oder den Erfolg in der nächsten Umfrage.

SZ: Politiker wollen Wahlen gewinnen ...

Keitel: ... in Ordnung, aber sie sind auch dem Gemeinwohl verpflichtet! Wir brauchen eine Politik, die es schafft, populistischen Strömungen standzuhalten. Denn ich sehe auch mit großer Besorgnis die abnehmende Bereitschaft in der Bevölkerung, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die repräsentative Demokratie durch verantwortungsbewusstes Handeln zu stärken. Auswüchse und Anspruchsdenken sind genauso schädlich wie das Zerreden bitter notwendiger Konzepte und Projekte. Dies gilt für die Wirtschaft wie für die Politik - wie für jeden Einzelnen.

SZ: Was ist dabei Ihre größte Sorge?

Keitel: Deutschland ist in der Krise zusammengestanden. Die Politik hat energisch entschieden, Unternehmer und Beschäftigte haben Opfer gebracht. Jedem war der Ernst der Lage bewusst. Meine größte Sorge ist, dass nach der Krise die Anspannung weicht und mancher glaubt, weitermachen zu können wie vorher. Das wäre fatal. Deutschland führt momentan das Wachstum in Europa an. Leider kann von nachhaltigem Wachstum noch keine Rede sein. Das müssen wir ändern. Gerade das Energiekonzept zeigt, wie sehr wir uns alle anstrengen müssen, wenn wir von Zukunftskonzepten nicht nur reden wollen.

SZ: Was sollte die Regierung tun?

Keitel: Bei der Regulierung der Finanzmärkte ist noch viel zu tun, um Gefahren zu reduzieren. Auch müssen wir endlich das Steuersystem vereinfachen - und zwar schnell, zum Beispiel bei der Gewerbesteuerreform, um zwei Beispiele zu nennen.

SZ: Und wenn die Regierung nicht spurt, schalten Sie wieder Anzeigen?

Keitel: Die Wirtschaft ist nicht der Präzeptor der Politik. Die Anzeigen waren eine einmalige, auch emotional begründete Reaktion.

Steckbrief: Am 4. August 1947 wird Hans-Peter Keitel im rheinland-pfälzischen Kusel als Sohn von Bauunternehmer-Familien auf väterlicher und mütterlicher Seite geboren. Seine Karriere begann der promovierte Ingenieur 1975 bei Lahmeyer, einer Beteiligung des Stromversorgers RWE. Er realisierte große Wasserbau- und Infrastrukturprojekte in Mittel- und Südamerika. Viele Jahre, von 1992 bis 2007, war er Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Hochtief, den er zum weltweit operierenden Baudienstleister umorganisierte. Manager aus der Baubranche bekommen selten die Chance auf den Chefposten des mächtigen Wirtschaftsverbandes. Dafür gibt es im BDI angesehenere Branchen, wie etwa die Elektrotechnik. Doch Anfang 2009 war Keitel gefragt. Mitten in der schweren Finanzkrise war auch der Verband in die Krise geschlittert. Unter Keitels Vorgänger Jürgen Thumann hatte der BDI an Einfluss verloren. Nicht erst seit der Anzeigenkampagne für längere Atomlaufzeiten im August mischt sich der Verband wieder verstärkt in die politische Diskussion ein. Im November wird der Präsident neu gewählt. Keitel habe Interesse daran, weiterzumachen, heißt es in Mitgliedsunternehmen. Der Chef selbst lässt eine weitere Kandidatur bislang offen.

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