Fußball:Alphatiere 2.0: Löws flache Hierarchie macht Schule

Rio de Janeiro (dpa) - Lothar Matthäus, Oliver Kahn und Michael Ballack müssen sich bei ihren TV-Jobs in Brasilien in den Nobelhotels an der Copacabana manchmal ein bisschen vorkommen wie Dinosaurier aus einer vergangenen Fußball-Zeit.

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Rio de Janeiro (dpa) - Lothar Matthäus, Oliver Kahn und Michael Ballack müssen sich bei ihren TV-Jobs in Brasilien in den Nobelhotels an der Copacabana manchmal ein bisschen vorkommen wie Dinosaurier aus einer vergangenen Fußball-Zeit.

Die Ära der Alphatiere wirkt bei der WM am Zuckerhut wie eine Schimäre der Vergangenheit. Nicht nur bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hat sich anno 2014 ein neuer Stil der kollektiven Fußball-Philosophie etabliert. Ob junge Belgier oder sportlich kecke Costa Ricaner, Erfolg hat, wer fest zusammensteht und in flachen Hierarchien den Teamgedanken fördert.

"Jetzt sind wir im Mannschaftsrat fünf, sechs, die das Kommando übernehmen. Es hat sich auch geändert, dass die jungen Spieler nicht mehr erzogen werden durch die Mannschaft", sagte Miroslav Klose kurz vor der WM. Der Routinier muss es wissen, war er doch zu Zeiten alter Hackordnung schon dabei. Und akzeptiert jetzt trotz persönlicher Jagd auf den alleinigen WM-Torrekord seine Rolle als Reservist.

An Starkult fehlt es in Brasilien keinesfalls. Im Gegenteil. Schon lange nicht mehr prägten die Super-Heroen der Kategorie Lionel Messi oder Neymar (beide 4 Tore) bei einem großen Turnier mit sportlichen Großtaten so das Geschehen. Doch der Führungsstil hat sich komplett verändert. "Für mich sind das Spieler, die intern alles ansprechen und es nicht nach außen rausposaunen. Deswegen sagen viele, dass wir keine richtigen Männer oder Charakter hätten, aber das sehe ich völlig anders", sagte Klose.

Messi wirkt dabei wie eine Blaupause der neuen Führungskraft. Von den argentinischen Mitspielern akzeptiert, vielleicht sogar bewundert, wirkt er integrierend nach innen und nicht provokativ nach außen. Zu Trainer Alejandro Sabella passt dieses System. Er legt Wert auf Dialog. Er verbietet keinem das Wort. Argentinien wirkt mehr wie eine Einheit als noch 2010 unter dem exzentrischen Diego Maradona.

Bei Gastgeber Brasilien offenbarte das Elfmeter-Drama gegen Chile die Rolle Neymars, der trotz des Starkults in der Hierarchie eigentlich hinter Thiago Silva, David Luiz, Júlio Cesar oder Fred zu stehen schien. Er ging auf dem Platz voran, munterte seine Kollegen beim Elfmeterschießen auf, verwandelte den letzten Versuch der Seleçao selbst und tröstete danach die Chilenen. Außerdem zeigt er eine erstaunliche psychische Robustheit. "Neymar ist der moralische Kapitän Brasiliens", hieß es im Internetportal GloboEsporte.

Es ist die Trainer-Generation Joachim Löw, Jürgen Klinsmann und Marc Wilmots, die diese neue Kultur etabliert hat. Besonders die jungen Belgier leben unter dem früheren Schalker Euro-Fighter Wilmots die Idee der eingeschworenen Gemeinschaft. Bei drei von vier Siegen in Brasilien sicherten eingewechselte Spieler mit ihren Toren den Erfolg. Alle 23 Akteure - so erklärte Wilmots seinen Stil - wissen, dass sie für das Team wichtig sind.

Beim DFB-Team hat Kapitän Philipp Lahm als Nachfolger von Kahn und Ballack diese Philosophie geprägt - auch gegen anfänglichen Widerstand und Häme. "Natürlich haben wir genügend Spieler, die Verantwortung übernehmen wollen, die führen wollen", sagte der Bayern-Kapitän schon im Herbst 2012 auf dem Weg zur WM. "Man muss alles der Mannschaft unterordnen."

Die Position der Kapitäne ist dabei in Brasilien keineswegs geschwächt. Sie sind für ihre Mannschaften wichtig wie nie. Das 1:0 von Costa Ricas Bryan Ruiz im Achtelfinale gegen Griechenland war das 19. Tor eines Spielführers in Brasilien. Das ist schon jetzt WM-Rekord.

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