Geschichte - Berlin:Egon Krenz schreibt neues Buch: "Wir und die Russen"

Berlin (dpa) - Im Januar 1986 schreibt der SPD-Politiker und spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder an Egon Krenz in Ost-Berlin und wünscht ihm "von ganzem Herzen" Kraft und Gesundheit. Mit dem Brief an das Mitglied des SED-Politbüros, dem höchsten DDR-Machtgremium, bedankt sich Schröder bei Krenz, der für ihn ein Treffen mit Partei- und Staatschef Erich Honecker arrangiert hatte. "Die Gespräche in der DDR waren offen und informativ. Besonders war ich von Erich Honecker beeindruckt", lässt der SPD-Mann wissen.

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Berlin (dpa) - Im Januar 1986 schreibt der SPD-Politiker und spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder an Egon Krenz in Ost-Berlin und wünscht ihm "von ganzem Herzen" Kraft und Gesundheit. Mit dem Brief an das Mitglied des SED-Politbüros, dem höchsten DDR-Machtgremium, bedankt sich Schröder bei Krenz, der für ihn ein Treffen mit Partei- und Staatschef Erich Honecker arrangiert hatte. "Die Gespräche in der DDR waren offen und informativ. Besonders war ich von Erich Honecker beeindruckt", lässt der SPD-Mann wissen.

Das Faksimile des Schreibens ist in dem neuen Buch von Krenz zu sehen, das an diesem Mittwoch in der Berliner Edition Ost erscheint. "Bundesdeutsche Politiker buhlten um Gesprächstermine bei Honecker", schreibt der heute 82-Jährige in seinen Erinnerungen mit dem Titel "Wir und die Russen". Krenz, der in Dierhagen an der Ostsee lebt, will die knapp 300 Seiten im Beisein alter Genossen am Donnerstag in Berlin vorstellen.

Honecker sei damals von vielen als Mittler zwischen Moskau und dem Westen gesehen worden. Das habe ihm "Schwierigkeiten bei unseren sowjetischen Freunden" eingetragen. Diese hätten alles misstrauisch beäugt, was gesamtdeutsches Denken befördern könnte, erinnert sich der Polit-Rentner, der einige Zeit als "Kronprinz" Honeckers galt. Moskau habe keine "gesamtdeutsche Koalition der Vernunft" gewollt.

Dennoch: "Die DDR war ohne die Sowjetunion nicht lebensfähig", versucht Krenz die Probleme mit dem "großen Bruder" sowie zugleich Verbundenheit zu beschreiben. Und über Honecker heißt es, den habe Moskau schon im Sommer 1984 loswerden wollen. Verteidigungsminister Ustinow habe ihn damals gefragt: "Meinen Sie nicht, dass die Zeit ihres Generalsekretärs abgelaufen ist?", erinnert sich Krenz.

Der schreibende Ex-Politiker Krenz gehört zu den letzten Zeitzeugen aus der DDR-Führungselite. Das Buch liest sich wie ein politisches Vermächtnis und zugleich wie ein detaillierter Bericht aus dem Innenleben der herrschenden SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands). Der letzte SED-Generalsekretär unterlegt seine Sicht der Dinge mit vielen Quellen. Die DDR müsse in den Kontext der Geschichte des 20. Jahrhunderts eingeordnet werden, fordert er.

Krenz hatte nach dem erzwungenen Rücktritt Honeckers am 18. Oktober 1989 die Macht übernommen. Noch am selben Abend verkündete er im DDR-Fernsehen eine "Wende" und räumte ein, die Führung habe die Entwicklung in der DDR nicht real eingeschätzt. Der letzte SED-Generalsekretär hatte zum 25. Jahrestag des Mauerfalls der dpa gesagt: "Ich bin angetreten, um die DDR als souveränen Staat zu erhalten."

Doch daraus wurde nichts. Kurz nach dem Mauerfall, am 3. Dezember 1989, trat das Politbüro des SED-Zentralkomitees mit Krenz an der Spitze zurück. Anfang 1990 wurde er aus der SED/PDS ausgeschlossen. Bürgerrechtler lehnen bis heute Krenz' "Wende"-Begriff ab. Zudem nehmen ihm viele der einst Verfolgten seine Reformerrolle nicht ab.

In "Wir und die Russen" beschreibt Krenz das ambivalente Verhältnis von Gorbatschow (heute 88) und Honecker (gestorben 1994). Dieser habe gemeint, er komme mit Gorbatschow nicht klar, dessen Politik der Perestroika führe in den Ruin. Für Honecker sei Perestroika nicht Umbau, sondern Abriss gewesen. Und so habe er seinen Genossen die demagogische Frage gestellt: "Wollt Ihr Perestroika und leere Regale?" Auf "Gorbi", 1985 zum Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewählt, lagen bei vielen DDR-Bürgern Hoffnungen auf mehr Freiheit und Demokratie.

Krenz breitet auch wenig bekannte Details aus. Die Sowjetunion habe 1985 wegen einer schlechten Ernte von der DDR eine Hilfslieferung von einer Million Tonnen Kartoffeln gewollt. Eine Fracht von der Hälfte sei organisiert worden. Dafür seien im Westen für Devisen extra ordentliche Säcke besorgt worden, schreibt Krenz. Doch dann sei aus Leningrad die Meldung gekommen, dass die Kartoffeln verfaulten - Entladung und Abtransport klappten nicht.

Krenz macht erneut deutlich, dass er nicht viel von Gorbatschow hält, der 1990 den Friedensnobelpreis für seine Politik der Abrüstung bekam. Er habe ihm zu lange vertraut. Gorbatschow habe die Zeichen der Zeit erkannt, "besaß aber kein strategisches Denken". Die Sowjetunion zerfiel.

Zu seinem obersten Chef meint Krenz, er habe seine "beträchtlichen Differenzen" mit Honecker zu spät und zu inkonsequent ausgetragen. Mindestens seit 1987 habe im Politbüro Unzufriedenheit über Honeckers Führungsstil geherrscht. Doch der sei zu keiner Kurskorrektur bereit gewesen.

Zudem habe er eine der schlimmsten "selbstverschuldeten Dummheiten" begangen: Im Alleingang habe Honecker Ende 1988 die sowjetische Zeitschrift "Sputnik" in der DDR verbieten lassen - diese veröffentliche verzerrende Beiträge zur Geschichte. Das habe wütenden Protest selbst unter Genossen ausgelöst.

Immer mehr Menschen verließen 1989 die DDR. Das SED-Politbüro habe geschwiegen, während es an der Basis brodelte, ist zu lesen. "Statt mit den kritischen Geistern zu reden, verteidigten wir Dogmen, die das Leben überholt hatte", so Krenz. Er rechnet sich aber an, dass die DDR-Führung im Herbst 1989 an die sowjetische Militärführung in der DDR appelliert habe, mit den Soldaten in den Kasernen zu bleiben.

Zum "positiven DDR-Erbe" zählt der Buchautor, dass es im Osten Deutschlands laut Umfragen mehr "Russlandversteher" gebe. Russland wolle gleichberechtigt behandelt werden - ohne Überheblichkeit und Druck. Krenz appelliert: "Aus der deutschen Politik muss die Russophobie verbannt werden." Zusammenarbeit sollte gefördert werden, nicht Sanktionen. 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution findet der Ex-Politiker: "Die Mauer wurde nach Osten verschoben - sie steht zwischen der Nato und Russland".

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