Gesundheit:Heftige Debatte um Klinikschließungen

Gesundheit
In einer Studie der Bertelsmann Stiftung raten Experten, von derzeit 1400 Krankenhäusern nur 600 größere und bessere zu erhalten. Foto: Stephanie Pilick (Foto: dpa)

Gütersloh (dpa) - Die Diagnose klingt hart, der Einschnitt wäre tief. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung raten Experten, von derzeit 1400 Krankenhäusern nur 600 größere und bessere zu erhalten.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Gütersloh (dpa) - Die Diagnose klingt hart, der Einschnitt wäre tief. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung raten Experten, von derzeit 1400 Krankenhäusern nur 600 größere und bessere zu erhalten.

Nur Kliniken mit großen Fachabteilungen und vielen Patienten hätten ausreichend Erfahrung für eine sichere Behandlung, lautet ein Hauptargument. Viele Komplikationen und Todesfälle seien vermeidbar, wenn man Mediziner und Pflegepersonal auf weniger Häuser mit einer Top-Ausstattung konzentriere. Aber kommt es dann zu der bitteren Nebenwirkung, dass Patienten es im ländlichen Raum noch weiter haben bis zur nächsten Klinik als bisher?

Diese Sorge treibt viele um. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das angesprochen, als er bei seiner Tour "Land in Sicht - Zukunft ländlicher Räume" in der Oberlausitz Station machte. Dort wüssten die Menschen, was es heiße, wenn der Weg "zum nächsten Krankenhaus immer weiter wird", sagte das Staatsoberhaupt. Und im Westen laufen aktuell Bürger etwa in Sankt Augustin bei Bonn Sturm gegen die geplante Schließung einer Kinderklinik. Der Frust fernab der größeren Städte und Ballungsräume ist jetzt schon mancherorts enorm.

"Es braucht eine gut erreichbare Grundversorgung vor Ort ebenso wie eine Hochleistungsmedizin in der Region", fordert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung für Patientenschutz. "Über die Hälfte der Krankenhäuser zu schließen, ist kein Konzept, sondern Kahlschlag. Das mag wissenschaftlich begründet sein, wäre für die Menschen aber verheerend", kritisiert er. Es gehe auch gar nicht immer um komplizierte Operationen. Die Versorgung müsse auch für Patienten sichergestellt werden, die in der Klinik keine Maximaltherapie benötigten. "Das sind vor allem alte, pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen." Mehr als 60 Prozent aller Klinikpatienten.

In den Städten wäre die Nahversorgung zwar auch bei einer Schließung von Kliniken gesichert, glaubt Jürgen Wasem, Experte für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Aber: "Im ländlichen Raum sieht das anders aus. Dort stellt sich das Problem der Zugänglichkeit deutlich krasser." Die Bertelsmann-Untersuchung räumt dazu auch ein: In ländlichen Kreisen mit unter 75 Einwohnern pro Quadratkilometer - derzeit 28 Kreise in acht Bundesländern - werde es dann wohl kaum möglich sein, binnen 30 Minuten ein größeres Krankenhaus zu erreichen.

In Sankt Augustin haben kürzlich 500 Bürger für den Erhalt der Kinderklinik demonstriert. Weil das dortige Kinderherzzentrum an die Uniklinik Bonn abwandere, solle die gesamte Kinder- und Jugendklinik mit Experten aus allen Disziplinen dichtgemacht werden, schildert CDU-Ratsmitglied Sascha Lienesch. Das Krankenhaus im Rhein-Sieg-Kreis habe einen großen Einzugsbereich. Die Fahrten würden für sehr viele Patienten länger. Die Kapazitäten im Umfeld reichten auch nicht aus, um den Bedarf nach der Klinikschließung aufzufangen, meint er.

"Wir brauchen in Deutschland einen guten Mix aus wohnortnaher Versorgung und Spezialisierung", sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Kürzlich hatte er betont: "Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele Bürger ein Stück Heimat." NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) meint, angesichts begrenzter Finanzen und des Fachkräftemangels seien "ressourcenschonende Strukturen" nötig. Ohne "Zentralisierungen und Spezialisierungen" werde es nicht gehen. Man wolle aber die Strukturen im ländlichen Raum stärken, versichert Laumann.

Und was sagen die Mediziner? Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und der gesetzliche Auftrag der Daseinsvorsorge stehe über allem, unterstreicht die Bundesärztekammer. "Gerade im ländlichen Raum müssen wir die flächendeckende Versorgung der Patienten sicherstellen." Die Deutsche Krankenhausgesellschaft findet: Wer 1000 Akutkrankenhäuser "platt machen" wolle, propagiere genau das Gegenteil dessen, was die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission "gleichwertige Lebensverhältnisse" erst vor Tagen für die ländlichen Räume gefordert habe.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen begrüßt dagegen die Empfehlungen aus Gütersloh - beim Blick auf die Ballungsgebiete. Dort gebe es zu viele Kliniken, die sich untereinander Konkurrenz machten - um Ärzte, Pflegepersonal und auch Patienten, sagt Sprecherin Ann Marini. Die ländlichen Regionen müsse man aber anders betrachten. Hier förderten die Kassen bereits einige Kliniken mit prekärer Finanzlage. Und 2020 komme ein neuer Zuschlag für 120 unentbehrliche Häuser im ländlichen Raum hinzu.

Fakt ist, dass die Finanzen mancher Kliniken nicht gerade gesund sind. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft hat jede dritte Klinik 2017 rote Zahlen geschrieben. Der Marburger Bund meint allerdings: "Krankenhäuser sind keine Profitcenter, sondern Teil der staatlichen Daseinsvorsorge." Ökonomen könnten leicht von Zentralisierung und Kapazitätsabbau "fabulieren". Schmerzhaft treffen werde das aber besonders ältere und wenig mobile Menschen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: