Kommunen - Stuttgart:Autos raus? Debatte um Verkehr in Innenstädten

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Stuttgart (dpa/lsw) - Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn will in den nächsten Jahren Autos aus der Innenstadt verbannen. Deutlich vor 2030 müsse der Bereich innerhalb des Stuttgarter City-Rings autofrei sein, sagt der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. "Wir wollen eine autofreie Innenstadt. Und das machen wir jetzt Schritt für Schritt", sagte er. Dann dürfe man nur noch die Parkhäuser anfahren. "Es muss mehr über die Schiene und Busse gehen. Wir müssen deutlich weniger Autos in der Innenstadt haben." Das sei zwar ein zäher Kampf, weil Stuttgart historisch eine Autostadt sei. Aber: "Die Verkehrsmenge, die heute in Stuttgart reinfährt, ist mit mehr Urbanität nicht vereinbar."

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) teilt den Vorstoß seines Parteikollegen nach eigenen Worten "inhaltlich voll und ganz". "Für die "Autostadt Stuttgart" wäre es ein bedeutender Gewinn an Lebens- und Aufenthaltsqualität", sagte Hermann. Das entspreche auch dem Wunsch vieler Bürger - in Umfragen gaben dem Ministerium zufolge drei Viertel der Befragten an, dass der Autoverkehr weniger werden müsse. Etwa ebenso viele forderten deutlich höhere Investitionen in umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Bahnen oder Busse. "Nur eine Minderheit plädierte für den Bau neuer Straßen." Eine autofreie Innenstadt würde im Übrigen auch die Luftqualität verbessern und dem Klimaschutz dienen, sagte Hermann. Das Verkehrsministerium wolle die "Dominanz des individuellen Pkw-Verkehrs zurückdrängen".

Auch in anderen Städten gibt es Pläne, Autos aus den Zentren zu verbannen. Die Stadt KONSTANZ, die dieses Jahr den Klimanotstand ausgerufen hat, sieht sich schon ein Stück weiter als Stuttgart in Sachen Autofreiheit. Die Innenstadt innerhalb des Rings Laube - Bodanstraße - Bahnhofplatz - Konzilstraße sei bereits weitgehend autofrei, teilte ein Sprecher am Montag mit. Außerdem realisiere man längst Fahrrad-Achsen durch das gesamte Stadtgebiet, um Autos noch mehr aus der Stadt herauszubekommen. "Ziel ist es, die Stadt näher an den See zu bringen und mehr Aufenthaltsqualität zu schaffen" - etwa mit der Sperrung des Bahnhofplatzes für Autos und andere Fahrzeuge. "Im nächsten Schritt wird der motorisierte Individualverkehr zwischen See und Innenstadt dann komplett herausgenommen."

In KARLSRUHES Innenstadt sind schon mehrere Straßen autofrei. Teilweise teilen sich Fußgänger diesen Raum mit Fahrradfahrern. Bei der Diskussion um die Weiterentwicklung des Mobilitätskonzeptes wird nach Angaben einer Sprecherin auch über weitere Einschränkungen des Autoverkehrs diskutiert, etwa am Europaplatz. Die Stoßrichtung sei aber nicht eine autofreie Innenstadt, sondern ein nachhaltiger Verkehrsverbund. Ein wichtiges Thema sei die Reduzierung von Lärm. Dazu soll die Geschwindigkeit in mehr Straßen auf 30 Kilometer pro Stunde begrenzt werden. Auch prüfe man weitere Fahrradstraßen.

In TÜBINGEN hat man gerade die Mühlstraße - eine wichtige Durchfahrt in der Innenstadt - testweise für Autos zugunsten von Radfahrern gesperrt. Die Radler bekommen dafür nach Angaben der Stadt mehr Platz und eine eigene Spur. Der Verkehrsversuch dauere bis Mitte November, heißt es von der Stadt. Im Rahmen seines Programms für ein klimaneutrales Tübingen 2030 hat Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) auch die Ausdehnung der autofreien Innenstadt vorgeschlagen. "Eine Vorrangzone für klimafreundliche Mobilität im gesamten Tübinger Stadtzentrum vom Bahnhof bis zur Universität ist für mich ein Nahziel", sagte er.

Die Stadt ULM hält den Vorstoß des Stuttgarter Oberbürgermeisters nach Angaben einer Sprecherin "für nicht realistisch". Auch in absehbarer Zeit werde das Auto besonders im ländlichen Raum eine Rolle in der Mobilität spielen. Eine nachhaltige Stadtentwicklung sei aber auch Ulm wichtig. Dazu nannte die Sprecherin den gemeinsam mit der Region angestrebten Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Am Vorstoß des Stuttgarter Oberbürgermeisters gab es noch deutlichere Kritik. "OB Kuhn denkt nicht regional", sagte CDU-Verkehrspolitiker Steffen Bilger. Der Vorschlag sei nicht durchdacht und auch nicht mit der Region Stuttgart abgestimmt. Es wäre logisch, wenn gar nicht erst so viele Autofahrer nach Stuttgart hineinfahren müssen, die nicht Stuttgart als Ziel hätten. Kuhn sperre sich aber, weitere Straßen zur Umfahrung der Stadt zu bauen.

FDP-Generalsekretärin Judith Skudelny kritisierte einen grünen "Kulturkampf gegen das Automobil". Wenn der ÖPNV stärker genutzt werden soll, muss dies über eine Attraktivitätssteigerung des ÖPNV erreicht werden und nicht durch einen Verbotswahn und faktische Enteignungen der Autobesitzer." Mit der Verbannung der Autos aus der Stuttgarter Innenstadt schädige Kuhn den ohnehin geschwächten Einzelhandel. "Die autofeindliche Politik der Grünen sendet zudem ein verheerendes Signal für den Automobilstandort Stuttgart, der unzählige Arbeitsplätze und Wohlstand sichert."

"Wir haben auf dem Land eine anderslautende Debatte als in den Städten", sagte Gudrun Heute-Bluhm, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg. "Wenn es auf dem Land nicht einmal einen Stundentakt gibt, kann man halt nicht immer mit dem Bus in die Stadt fahren." Die Diskussion dürfe man nicht auf Stuttgart alleine beschränken, das mit seiner Größe und seinem gut ausgebauten ÖPNV bessere Voraussetzungen habe als andere Städte wie Ulm oder Freiburg, die sehr von ländlicher Struktur umgeben seien.

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