EU:Spannung an griechisch-türkischer Grenze wächst

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Die griechischen Behörden feuerten Tränengas und Betäubungsgranaten ab, um einen Vorstoß von Migranten abzuwehren, die ihre Grenze von der Türkei aus überqueren wollten. Foto: Giannis Papanikos/AP/dpa (Foto: dpa)

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Brüssel/Athen (dpa) - Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten verstärken den Schutz der griechischen Grenze zur Türkei. "Illegale Grenzübertritte werden nicht toleriert", heißt es in einer Erklärung, auf die sich die Innenminister der 27 EU-Länder bei ihrem Sondertreffen in Brüssel einigten.

"Dazu werden die EU und ihre Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit europäischem und internationalem Recht alle nötigen Maßnahmen ergreifen."Zuvor hatten Berichte über einen getöteten Migranten an der griechisch-türkischen Grenze die Spannungen zwischen Ankara und Athen verschärft. Türkische Medien berichteten, griechische Grenzschützer hätten einen Mann erschossen, mehrere Migranten seien verletzt worden. Ein griechischer Regierungssprecher dementierte das am Mittwoch entschieden und sprach von "fake news".

"Niemand kann sicher sagen", ob derzeit alle Maßnahmen an der griechisch-türkischen Grenze internationalem Recht entsprächen, räumte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson ein. Sie könne nur dazu aufrufen, dieses Recht einzuhalten: "Ich zähle darauf, dass die griechische Regierung dem folgt." Für den kroatischen EU-Ratsvorsitz sagte Innenminister Davor Bozinovic, die EU stehe einig hinter Griechenland. "Wir erwarten von den Migranten und Asylbewerbern, unser europäisches Recht zu respektieren", sagte Bozinovic.

Zwei Länder - Luxemburg und Finnland - hätten konkrete Zahlen zur Übernahme minderjähriger Flüchtlinge von den griechischen Inseln genannt, sagte Kommissarin Johansson. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte nach dem Treffen, über eine Umverteilung von Flüchtlingen sei nicht gesprochen worden: "Nein, das war heute nicht auf der Tagesordnung", sagte Seehofer, doch werde der Ministerrat "zeitnah dieses Thema angehen". Erst müsse dort Ordnung geschaffen werden, dann könne man über humanitäre Hilfen für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge auf den griechischen Inseln sprechen.

Jedes EU-Land solle pro halber Million Einwohner je zehn unbegleitete Minderjährige "aus diesem Loch herausholen", schlug Luxemburgs Minister Jean Asselborn in Brüssel vor. Auch Frankreich hatte seine Bereitschaft zur Aufnahme von Kindern und Jugendlichen erklärt. "Ich denke, das ist eine sehr gute Idee", sagte Johansson. "Es ist dringend nötig, sie von diesen Bedingungen auf den Inseln wegzubekommen und einen Zufluchtsort für sie zu haben."

Seit die Türkei am Wochenende die Grenzen zur EU für offen erklärt hatte, ist der Druck auf die griechischen Grenzen deutlich gestiegen. Nach UN-Angaben harren Tausende Migranten auf der türkischen Grenzseite aus. Viele wollen weiterziehen.

Augenzeugen berichteten von Schüssen im griechisch-türkischen Grenzgebiet, es gibt Bilder von Verletzten aus dem Krankenhaus im türkischen Edirne. Das Gouverneursamt der türkischen Grenzprovinz Edirne teilte mit, Schüsse griechischer Grenzbeamter hätten einen Migranten getötet und fünf weitere verletzt. Der Getötete weise einen Einschuss an der Brust auf. Die Oberstaatsanwaltschaft ermittele.

Eine dpa-Reporterin an der Grenze hatte am Vormittag zunächst mindestens drei, kurz darauf eine Serie weiterer Schüsse gehört. Danach sei ein Ambulanzwagen mit hohem Tempo aus dem Grenzgebiet gefahren, berichtete sie.

Griechenland sichert die Grenze mit Härte. Sicherheitskräfte setzten Blendgranaten und Tränengas ein, um Menschen zurückzudrängen. Menschenrechtler und Migrationsforscher kritisieren das Vorgehen scharf. Nach Angaben griechischer Sicherheitskräfte sollen auch Migranten auf der türkischen Seite mit Tränengas ausgestattet sein.

Die EU-Kommission kündigte an, Griechenland in der angespannten Migrationslage zu helfen. "Wenn Europa getestet wird, können wir beweisen, dass wir die Stellung halten und unsere Einheit siegen wird", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas. Ein Brüsseler Sechs-Punkte-Plan sieht vor, dass die EU-Asylagentur Easo 160 Experten der EU-Staaten entsendet. Die Grenzschutzagentur Frontex soll außerdem ein neues Programm für schnelle Rückführungen für jene Menschen auflegen, die nicht in Griechenland bleiben dürfen. Zudem müsse die EU sich besser mit den Westbalkanstaaten abstimmen.

Einige Punkte des Plans waren bereits bekannt. So hatte Frontex auf Bitten Griechenlands bereits angekündigt, die Hilfe an der Grenze zur Türkei auszubauen. Griechenland soll zudem bis zu 700 Millionen Euro für das Migrationsmanagement bekommen. Außerdem hat Athen den Katastrophenschutz-Mechanismus der EU ausgelöst, um etwa mit medizinischer Ausrüstung, Zelten und Decken versorgt zu werden.

Deutschland will Griechenland mit 20 zusätzlichen Grenzschützern und einem seetauglichen Hubschrauber unterstützen. Bisher beteiligten sich 60 Bundespolizisten an den Frontex-Einsätzen in Griechenland. Polen könne 100 Polizisten und 100 Grenzschützer nach Griechenland schicken, sagte der polnische Innenminister Mariusz Kaminski.

"Jetzt braucht es die volle Unterstützung für Griechenland. Wir müssen alle daran denken, dass das, was wir erleben, keine zufällige humanitäre Krise ist, sondern eine gelenkte und akkordierte Aktion der Türkei gegen Europa", sagte der österreichische Innenminister Karl Nehammer. Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas sagte, die Menschen würden mit Bussen von türkischen Städten aus an die Grenze gebracht und per Kurzmitteilungen über die angeblich offene Grenze informiert.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagt in Ankara, er habe klargemacht, dass die EU von der Türkei die Einhaltung des 2016 geschlossenen Flüchtlingspakts erwarte. Er habe das Land dazu aufgefordert, Flüchtlinge nicht dazu zu ermuntern, an die Grenze mit Griechenland zu reisen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu schrieb auf Twitter, er habe im Gespräch mit Borrell deutlich gemacht, dass die EU ihre Versprechungen gegenüber der Türkei nicht einhalte und dass Europa Verantwortung übernehmen müsse.

Angesichts der dramatischen Lage im Bürgerkriegsland Syrien kündigte die EU zusätzliche 170 Millionen Euro an Hilfsgeldern an. Das beinhalte 60 Millionen Euro, die für die humanitäre Krise in Nordwestsyrien vorgesehen seien, hieß es in einer Erklärung nach einem zweitägigen Besuch einer EU-Delegation in Ankara. Borrell drückte sein Verständnis für die Türkei aus, die rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat. Zugleich mahnte er: "Erhöhter Druck an der EU-Türkei-Grenze und einseitige Maßnahmen werden keine Antworten liefern."

In Deutschland forderte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die von CDU und Grünen regierten Länder auf, sich zur Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge aus griechischen Lagern bereitzuerklären. Alle SPD-geführten Länder hätten das getan, sagte Mützenich nach einer Sonder-Fraktionssitzung. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) betonte, eine Lösung könne nur auf europäischer Ebene gelingen.

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