Gesundheit - Stuttgart:Kretschmann: Melden von Corona-Verstößen ist sinnvoll

Baden-Württemberg
Winfried Kretschmann spricht im Landtag von Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/dpa (Foto: dpa)

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Stuttgart (dpa/lsw) - Auf Partys, auf Spielplätzen, beim Picknick im Park: Die strenge Corona-Verordnung wird nach wie vor Hunderte Male am Tag missachtet. Allein am vergangenen Wochenende kamen rund 3000 Anzeigen zusammen. Und bleibt das Wetter so gut, rechnet Innenminister Thomas Strobl bereits mit zahlreichen weiteren Verstößen vor allem gegen das Versammlungsverbot. Auch wenn sich die meisten Menschen an das halten, was ihnen die Verordnung schwarz auf weiß vorgibt.

Den einen oder anderen dieser Verstöße würde die Polizei sicher übersehen, bekäme sie nicht einen entscheidenden Tipp vom Nachbarn. "Petzen" hieß das früher zwischen Sandkasten, Rutsche und Schaukel. In einer Zeit allerdings, in der das Coronavirus im Land grassiert, geht es nach Einschätzung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann um deutlich mehr als um billige Kinderstreiche: "Da geht es jetzt wirklich um Menschenleben", betont der Regierungschef.

"Die Polizei kann nicht alles entdecken", sagt Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. Es sei klar, dass in einer Krise wie in der aktuellen Lage alle mitwirken müssten, dass die gemeinsamen Regeln eingehalten werden. "Ein Aufruf zum Denunziantentum ist das in keiner Weise", sagt der Grünen-Politiker.

Zuvor hatte CDU-Minister Strobl bereits dazu ermuntert, Verstöße gegen Corona-Auflagen zu melden. "Ich bin dankbar, dass Bürgerinnen und Bürger wachsam sind und uns helfen", sagt er. Werde ein Rechtsverstoß wahrgenommen, sei ein Anruf bei der Polizei stets sinnvoll. "Das gilt bei einem Einbruch in der Nachbarschaft ebenso wie für den Fall, dass jemand ein illegales Treffen im Keller einer Shisha-Bar wahrnimmt", sagte Strobl. Bei Verstößen aus Unachtsamkeit oder aus Versehen könne aber auch schon ein freundlicher Hinweis das Mittel der Wahl sein. "Das nötige Gespür dafür darf man den Menschen im Land schon zutrauen", sagte Strobl.

Die erwähnte Shisha-Bar in Stuttgart hatte am Wochenende für Schlagzeilen gesorgt: Durch einen Anruf war die Polizei aufmerksam geworden auf die Lounge, in der 26 Menschen zusammengekommen waren auf die eine oder andere Wasserpfeife. Nicht alles: Die Polizei musste sogar die Tür aufbrechen lassen, weil in der Bar niemand öffnen wollte. Die meisten Feiernden hatten sich in einem Lagerkeller verbarrikadiert, als die Polizei sie kontrollierte.

"Super Location", heißt es über die Bar auf ihrer Facebook-Seite. "Nicht mehr lange", könnte man aus den Worten Strobls herauslesen, der deftige Strafen für Besucher und Betreiber angekündigt hat.

Die beiden Gewerkschaften der Polizei stärken dem Minister dabei den Rücken: "Wir wollen sicher keine Stigmatisierung oder Denunziantentum", betont der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Ralf Kusterer. "Aber bei Verstößen gegen die Corona-Verordnung oder das Infektionsschutzgesetz sprechen wir nicht über Falschparker, sondern über schwerwiegende Fälle und sogar über Straftaten."

Nach Angaben des stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Carsten Beck, sind die Beamten personell auch nicht in der Lage, alles zu überwachen. "Wir sind auf solche Hinweise angewiesen", sagt Beck. Von einem Gespräch mit denen, die gegen die Regeln verstoßen, hält er wenig: "Wir sind über den Punkt hinaus, an dem man erst ermahnt und droht."

Dialog oder gleich die Polizei? Die Grünen, ansonsten nicht immer als Law-and-Order-Partei bekannt, machen das abhängig von der Situation: Natürlich sei ein Gespräch immer der erste Weg, aber es gebe auch Konstellationen, in denen dies nicht immer möglich sei. "Die Shisha-Bar in Stuttgart ist so ein Fall", sagt Landesparteichef Oliver Hildenbrand und betont: "Die Corona-Regeln sind kein Selbstzweck, sondern Schutzregeln für uns alle."

Die SPD ruft hingegen zum Dialog auf: "In diesen Tagen ist es angezeigt, aufeinander aufzupassen und sich an die Regeln zu halten", sagt SPD-Generalsekretär Sascha Binder. "Ein Aufruf zur Denunziation hilft da nicht weiter." Möglich sei zum Beispiel auch, die direkte Ansprache zu suchen und Menschen auf mögliche Fehler aufmerksam machen.

Das sollte nach Ansicht von FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke jeder für sich selbst entscheiden: Es gebe keine Bürgerpflicht zur Anzeige. "Das bleibt jedem selbst überlassen", sagt Rülke. Strobl warf er indirekt vor, "das gesellschaftliche Klima hin zu einer Kultur der Denunziation zu vergiften, bei der die Bürgerinnen und Bürger befürchten müssen, bei kleinsten Verstößen bereits angezeigt zu werden".

Der Leipziger Psychologe Immo Fritsche, Experte für Gruppenprozesse und den Einfluss von Bedrohung, kann es zwar durchaus nachvollziehen, wenn Menschen in riskanten Zeiten zum Hörer greifen und Verstöße melden: "Man tut das, was die Mehrheit tut, hält sich also an Regeln, und gleichzeitig will man diejenigen bestrafen, die dagegen verstoßen", sagt er. Allerdings sieht er durchaus Chancen für den erfolgreichen Dialog am Grill- oder Spielplatz: "Menschen schauen stark nach dem, was andere machen", sagt er. "Da reicht es oft schon zu kommunizieren, dass sich die weit überwiegende Mehrheit an die Regeln hält, der Angesprochene dagegen nicht."

Menschenansammlungen sind in Baden-Württemberg auf öffentlichen Plätzen verboten, sobald sich mehr als zwei Personen treffen, die nicht zur Familie gehören. Am Sonntag hatte das Land dazu einen Bußgeldkatalog veröffentlicht. Dennoch wurden am Wochenende etliche Verstöße und Ordnungswidrigkeiten zur Anzeige gebracht. "Natürlich waren da auch Verstöße bei, auf die wir erst durch Anrufe aufmerksam gemacht wurden", sagt ein Stuttgarter Polizeisprecher. Zwar gebe es da auch den einen oder anderen, der seinem Nachbarn eins auswischen wolle. "Aber die meisten sind sensibel, besorgt und wachsam."

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