Olympia:Matrosen, Masken, Machenschaften: Die Tokio-Spiele von 1964

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Eine in einen Gehweg eingelassene Tafel mit der Gravur "1964 Tokyo" erinnert an die vergangenen Olympischen Spiele in Japans Hauptstadt. Foto: -/kyodo/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa) - Tokio 1964, Tokio heute, zweimal Olympia: Wenn Jürgen Nöldner in Gedanken 56 Jahre zurück in die Vergangenheit reist, ist das wie ein Déjà-vu für den ehemaligen DDR-Fußballer.

"Was uns dort gleich aufgefallen ist: Viele Japaner haben damals schon Mundschutzmasken getragen. Wir haben darüber gelacht - aber die waren eben clever", sagte der heute 79-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Mit der DDR-Auswahl holte der technisch begnadete Stürmer vom ASK Vorwärts Berlin am 23. Oktober 1964 die Bronzemedaille - für die gesamtdeutsche Mannschaft.

Auch die Olympiasieger Willi Holdorf (Zehnkampf), Wilhelm "Willy" Kuhweide (Segeln) und Ingrid Gulbin (damals Ingrid Engel-Krämer/ Wasserspringen) erinnern sich gern an die Tage in Tokio - an den größten Erfolg ihrer Sportkarrieren. Und sie fühlen mit den Athleten, die sich wegen der Corona-Pandemie jetzt erst im 2021 bei den Olympischen Spielen in der japanischen Metropole treffen können.

Wegen des neuartigen Coronavirus wurde Olympia wie die Fußball-EM um ein Jahr verschoben. "Das Problem sehe ich für den Fußball nicht so dramatisch. Alle anderen Sportarten tun mir leid, für diese Sportler wird's schwierig", meinte Nöldner, der 1964 auch beim Spiel um Platz drei (3:1 gegen die Vereinigte Arabische Republik) dabei war.

"Schade, dass wir gegen die CSSR knapp verloren haben. Bei einem Sieg hätten wird dann im Finale sicher gute Chancen gegen die Ungarn gehabt", erzählte "Kuppe" Nöldner, der 30-malige Auswahlspieler (16 Tore). "Das war damals mit die beste DDR-Mannschaft, in der ich jemals gespielt habe." Gold gewannen Ungarns Fußballer.

Willi Holdorf ist mit Blick auf die Verschiebung der diesjährigen Spiele immer noch richtig sauer auf das Internationale Olympische Komitee. "Das IOC hat mit der Absage der Sommerspiele viel zu lange gezögert! Dabei hat doch die ganze Welt gesehen, dass das ein Drama werden könnte", beklagte der erste deutsche Zehnkampf-Olympiasieger, "mir tun die Sportler leid, die ihre Planung jetzt total umstellen müssen oder gar nicht mehr trainieren können."

Holdorfs goldene Sternstunde schlug am 20. Oktober 1964. "Ich zählte nicht zu den Favoriten und hatte mit Bronze gerechnet", sagte der heute 80-Jährige, "doch der Wettkampf lief ganz gut für mich." Im abschließenden 1500-Meter-Rennen verteidigte er seinen 18-Sekunden-Vorsprung auf Rein Aun aus der Sowjetunion.

Gern würde der Schleswig-Holsteiner an die Stätte seines Triumphs zurückkehren. "Mal sehen, wie fit ich bin", sagte Holdorf der dpa. Dann könnte Holdorf im Sommer 2021 auch den Mainzer Niklas Kaul anfeuern - Deutschlands jüngsten Zehnkampf-Weltmeister.

Ein irrer Ost-West-Krimi lief vor Kuhweides Gold-Regatta in der Sagami Bay ab - für den gebürtigen Berliner mit Happy End: Erst eine halbe Stunde vor dem Start entschied IOC-Präsident Avery Brundage, dass Kuhweide starten darf. Der DDR-Segler Bernd Dehmel wurde zum Opfer im wochenlangen Streit der beiden deutschen NOKs.

Kuhweide behielt in der Stunde der Entscheidung die Nerven. In seinem Finn-Dinghy gewann er vor Enoshima zwei der sieben Rennen - Gold! "Die japanischen Matrosen wussten offensichtlich um die Probleme mit der Startberechtigung. Sie haben mich triumphierend auf ihren Schultern vom Finn zum Hafengelände hochgetragen", sagte der 77-Jährige der dpa. "Sie waren die Ersten, die mich haben spüren lassen: Diesen Sieg hast du verdient."

Noch heute denkt Kuhweide, der im Ort Carefree unweit von Phoenix im US-Bundesstaat Arizona lebt, mit Gänsehaut an die Siegerehrung. "Ich wurde da von meinen Gefühlen überwältigt! Es kam mir wie ein Traum vor." Der ehemalige Pilot ist gesund und lebt zu Hause "überwiegend in freiwilliger Quarantäne. Auch mein Klavierspiel kommt mehr zu Ehren."

Die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Weltsport beschäftigt auch den früheren Weltklasse-Segler. "Am schlimmsten trifft es Sportarten wie die Leichtathletik, denn die Zeitspanne der maximalen Leistung ist recht kurz im Gegensatz zu Sportarten wie Segeln, wo man auch über etwas längere Zeiträume seine Höchstleistung abrufen kann", erklärte der viermalige Weltmeister.

Auch Ingrid Gulbin erinnert sich noch gut an die Tokio-Spiele. "Das war ein einmaliges Erlebnis! Es gibt keine andere Veranstaltung, wo man mehr Eindrücke und Begegnungen sammeln konnte. Es überwältigt mich jetzt noch", sagte die 76-Jährige, der bei der Eröffnung eine ganz besondere Ehre zuteil wurde. "Ich habe nicht damit gerechnet, Fahnenträgerin zu sein", sagte sie, "ich hatte Angst, die Fahne durch das Stadion zu tragen und bei dem Wind halten zu können."

Die Athleten des gesamtdeutschen Teams spürten selbst im Fernen Osten den Hauch des Kalten Krieges. "Die Spannungen in der Mannschaft waren von der Politik gesteuert. Die Sportler untereinander hatten kein Problem", meinte die dreimalige Olympiasiegerin, die schon vier Jahre zuvor in Rom zweimal Gold vom 3-Meter-Brett und vom Turm gewonnen hatte. "Nach den Spielen gab es keine Berührungspunkte mehr. Erst nach der Einheit wurden mehrere Sportler von Industriellen zu einer Reise in die USA eingeladen", erzählte Ingrid Gulbin. "Da gab es ein Wiedersehen, und wir haben viele Freundschaften geknüpft."

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