Olympia:"Hohes Gut": Mehr Athleten-Meinungsfreiheit bei Olympia?

Olympia
Die US-Athleten Tommie Smith (M) und John Carlos (r) streckten während Olympia 1968 die Fäuste, um gegen Rassismus zu protestieren. Foto: Anonymous/AP/dpa (Foto: dpa)

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Washington (dpa) - In der Diskussion um die Möglichkeit von politischen Botschaften bei den Olympischen Spielen wie dem symbolischen Kniefall im Kampf gegen Rassismus hat Thomas Bach die Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees ins Spiel gebracht.

Das Gremium solle Vorschläge machen, kündigte der IOC-Präsident auf einer Pressekonferenz nach einer Exekutivsitzung an. "Die IOC-Athletenkommission steht im Dialog mit ihren Kollegen und den Athleten aus der ganzen Welt, um herauszufinden, wie Athleten ihre Unterstützung auf würdige Weise zum Ausdruck bringen können."

Er wolle den Konsultationen nicht vorgreifen und irgendwelche Anweisungen geben, ergänzte Bach und verwies darauf, dass das IOC laut Charta gegen jede Art von Diskriminierung eintritt. "Diese Prinzipien sind in unserer DNA. Wir leben diese Werte Tag für Tag", betonte Bach.

Ob das IOC an seinen Richtlinien gegen politische Zeichen und Aussagen festhält, wie vom "Daily Telegraph" berichtet, ließ Bach damit offen. Laut Regel 50 des IOC sind bei Olympia jegliche Demonstrationen sowie politische, religiöse oder rassistische Botschaften untersagt.

So kündigte das Nationale Olympische Komitee der USA (USOPC) an, seine eigenen Regeln überdenken und sich international für das Erlauben von politischen Botschaften seiner Sportler einsetzen zu wollen. Man werde eine von Athleten geführte Arbeitsgruppe einsetzen und die eigenen Regeln infrage stellen, die Hürden darstellten für den Fortschritt, "inklusive eures Rechts zu protestieren", hieß es in einem Schreiben des Verbandes an die US-Sportler. "Wir werden uns auch global für eine Veränderung einsetzen." Eine dpa-Anfrage beim IOC zu diesem Thema blieb zunächst ohne Antwort.

Bei Athleten Deutschland stößt die US-Initiative auf positive Resonanz. "Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut", sagte Maximilian Klein, Beauftragter für internationale Sportpolitik der Vereinigung. "Von Athleten kann dabei eine gute Inspiration ausgehen." Für die Regel 50 des IOC, die bei Olympia jegliche Demonstrationen sowie politische, religiöse oder rassistische Propaganda verbietet, habe es nie eine Legitimation gegeben.

"Was es auf jeden Fall geben muss, ist, dass ein Prozess losgeht, auf welche Werte man sich einigen kann und welche Grenzen man ziehen muss", betonte Klein. "Wir Athleten sehen uns als Personen des öffentlichen Lebens in der Verantwortung." Ob das IOC mit den Athleten diese Diskussion führen wird, bezweifelt er angesichts des Disputs um die Regel 40. Das dadurch beschränkte Werbeverbot für Sportler bei Olympia wurde zwar gelockert, aber nicht aufgehoben. "Ein großer Wandel war nicht zu erkennen", so Klein.

Auch der Deutsche Olympische Sportbund sieht die Zeit für eine Veränderung der rigiden Haltung zu politischen Äußerungen der doch akzeptierten mündigen Athleten für gekommen. "Grundsätzlich ist es immer wieder wichtig und auch notwendig, die Sinnhaftigkeit bestehender Regelwerke des autonomen Sports selbstkritisch zu hinterfragen", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann am Mittwoch.

In der aktuellen Diskussion müsse aber man sehr präzise trennen zwischen politischen Statements und der Unterstützung von grundsätzlichen Zielen wie der Einhaltung der Menschenrechte, die in Verbandssatzungen oder der Olympischen Charta benannt würden. "Wenn Sportler für die dort aufgeführten Werte offen und deutlich eintreten, ist das aus unserer Sicht positiv und somit völlig anders zu bewerten, als wenn die Bühne des Sports zur Aussendung politischer Botschaften jedweder Art genutzt und teilweise auch missbraucht wird", erklärte Hörmann. In beiden Fällen brauche es "auch weiterhin klare Regeln, wann und wo Äußerungen Sinn machen und allseits zu akzeptieren sind."

Die Sportausschussvorsitzende des Bundestages Dagmar Freitag begrüßt, dass das US-NOK - sicher auch unter dem Eindruck der Proteste um den rassistisch begründeten Tod von George Floyd - vorangehe und dem Ansinnen der Athleten Rechnung trage, sich entsprechend zu äußern. "Allerdings hat das IOC erst im Januar dieses Jahres in seinen Guidelines das Verbot jeglicher gesellschaftspolitischer Äußerungen oder Handlungen ("taking a knee") unter Androhung von Sanktionen bekräftigt", sagte sie. "Aber die Zeiten sind im Juni 2020 noch mal andere als im Januar." Der Sport betone stets seine bedeutende gesellschaftliche Funktion, aber damit gehe auch Verantwortung einher: "Diese müssen Athleten wahrnehmen können - und zwar ohne Angst vor Sanktionen durch Verbände."

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