International:Mehr Flüchtlinge denn je

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Kinder werden in der Ombechi Grundschule in Uganda im Flüchtlingslager Bidi Bidi in einem Zelt des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR unterrichtet. Foto: Ben Curtis/AP/dpa (Foto: dpa)

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Genf (dpa) - Krieg, Gewalt und Verfolgung treiben immer mehr Menschen in die Flucht. Ende 2019 gab es einen neuen Rekord mit 79,5 Millionen Vertriebenen - das waren fast neun Millionen mehr als ein Jahr zuvor, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf berichtete.

Schuld an der Misere seien auch Länder, die sich in Konflikte einmischten und damit Friedenslösungen verhinderten, kritisierte UNHCR-Chef Filippo Grandi. So könnten keine Bedingungen für die Rückkehr der Flüchtlinge geschaffen werden.

Die Corona-Krise und die damit verbundene wachsende Armut dürfte die Flucht auch Richtung Europa verstärken, meinte er: "Ich habe keinen Zweifel, dass die wachsende Armut und der Mangel an Lösungen sowie die Fortsetzung von Konflikten zu mehr Bevölkerungsbewegungen führen wird, in den Regionen und darüber hinaus, nach Europa etwa."

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stellte Europa an den Pranger. Immer weniger Länder seien bereit, Schutzbedürftige aufzunehmen, sagte die Expertin für Asylpolitik, Franziska Vilmar. Katastrophal sei die Lage auf den griechischen Inseln, die Menschen würden nicht wie versprochen umverteilt: "Das ist eine Bankrotterklärung für den gemeinsamen Flüchtlingsschutz in Europa."

Menschen auf der Flucht seien besonders hart von der Corona-Pandemie getroffen, sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Durch Grenzschließungen können viele von ihnen kein sicheres Aufnahmeland mehr erreichen - Menschenhändler profitieren auf abscheuliche Weise davon."

Geflüchtete müssten auch in Corona-Zeiten geschützt werden, forderte der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher. "Die Möglichkeit auf Einreise in den Nachbarstaat, um das Leben zu retten, darf nicht einfach Corona-Maßnahmen geopfert werden", sagte er.

Etwa 15 Prozent der Menschen auf der Flucht hätten Behinderungen und seien besonders schutzbedürftig, meinte die Geschäftsführerin von Handicap International Deutschland, Inez Kipfer-Didavi: "Angesichts der Ausbreitung des Coronavirus sehen wir, dass lokale Gemeinden schnell Flüchtlinge ablehnen, besonders, wenn sie eine Behinderung haben."

Die neuen Zahlen sind ein Rekord in der fast 70-jährigen Geschichte des UNHCR. Die Zahl der Vertriebenen hat sich von 2010 mit gut 40 Millionen bis 2019 fast verdoppelt. Im vergangenen Jahr blieb zwar die Zahl der Flüchtlinge außerhalb des eigenen Landes mit 26 Millionen praktisch konstant.

Aber die Zahl der im eigenen Land Vertriebenen stieg von 41,3 Millionen Ende 2018 auf 45,7 Millionen. Auch die Zahl der Asylsuchenden stieg, von 3,5 auf 4,2 Millionen. Weil darunter auch Migranten sind, die letztlich nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, listet das UNHCR sie gesondert auf.

Hotspots mit neuen Vertreibungen waren nach UNHCR-Angaben im vergangenen Jahr der Kongo, Burkina Faso, Syrien, Venezuela und der Jemen. Als vertrackte Krisen nennt die Organisation auch die Ukraine, die aus Myanmar nach Bangladesch vertriebenen Rohingya, Afghanistan, den Irak, Libyen, Somalia, Äthiopien und die Sahel-Zone.

Dreiviertel der Flüchtlinge lebten Ende 2019 in der Nähe ihrer Heimat. Das seien meist selbst arme Länder, betonte Fionna Smyth von der Hilfsorganisation Oxfam. Sie rief die Regierungen reicher Länder auf, mehr Geld zu geben, vor allem auch für die Corona-Vorsorge unter Flüchtlingen.

Mit 1,1 Millionen Flüchtlingen war Deutschland nach der Türkei, Kolumbien, Pakistan und Uganda das fünftwichtigste Aufnahmeland. Hinzu kamen in Deutschland nach der UNHCR-Statistik gut 309 000 Asylsuchende, über deren Status noch nicht entschieden war.

Ein Grund für den starken Anstieg der Gesamtzahl war auch, dass das UNHCR erstmals 3,6 Millionen Venezolaner mitzählte, die fast alle seit 2015 vor der Misere im eigenen Land in Nachbarländer geflohen sind. Sie haben zwar selbst größtenteils keinen Flüchtlingsstatus beantragt, brauchen aber nach UNHCR-Angaben trotzdem Schutz und dürften zum Beispiel nicht abgeschoben werden.

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