Migration:Seehofer will generellen Abschiebestopp für Syrien beenden

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Seehofer will keinen allgemeinen Abschiebestopp für Syrien mehr. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa) - Der generelle Abschiebestopp für Syrien sollte nach Ansicht von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nicht über den 31. Dezember hinaus verlängert werden.

"Ich werde bei der Innenministerkonferenz dafür eintreten, dass wir anstelle eines generellen Abschiebestopps künftig zumindest für Straftäter und Gefährder wieder in jedem Einzelfall prüfen, ob Abschiebungen nach Syrien möglich sind", sagte Seehofer der Deutschen Presse-Agentur.

Das Auswärtige Amt will rechtzeitig zu den Beratungen der Innenminister einen neuen Lagebericht zur Sicherheitslage in Syrien vorlegen, wie eine Sprecherin am Freitag mitteilte.

Dass Seehofer nicht einmal die aktuelle Lageeinschätzung des Auswärtigen Amts abgewartet habe, zeige dass es ihm "nicht um die fatale Menschenrechtslage vor Ort geht, sondern um ein politisches Signal nach Rechts", sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhard. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, mutmaßte, die Debatte über Abschiebungen sogenannter Gefährder diene "als Türöffner, um langfristig auch andere Gruppen nach Syrien abschieben zu können". Der Obmann der Union im Innenausschuss, Alexander Throm (CDU), forderte dagegen, den Abschiebestopp für "Gefährder" unabhängig von der Sicherheitslage in Syrien aufzuheben, "denn nur dann besteht grundsätzlich die Möglichkeit, diese Person in Sicherungshaft zu nehmen".

Der generelle Abschiebestopp für Syrien war 2012 erstmals beschlossen und seither mehrfach verlängert worden. Der Bürgerkrieg ist in den meisten Gebieten des Landes vorbei. In diesen Krieg haben im Laufe der Jahre mehrere internationale Akteure eingriffen - zuletzt vor allem Russland und die Türkei. Wer als Gegner der Familie Assad wahrgenommen wird, die in dem arabischen Land seit 50 Jahren herrscht, dem drohen aber nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen nach wie vor Folter und Tod.

In den wenigen Gebieten, die noch von Islamisten oder anderen Rebellen kontrolliert werden, gibt es auch Risiken für Anhänger von Präsident Baschar al-Assad. In einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Mai hieß es: "Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden. Dies gilt auch für vermeintlich friedlichere Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie die Hauptstadt Damaskus."

Nach der Messerattacke eines Islamisten in Dresden hatten mehrere Unionspolitiker den kategorischen Abschiebestopp nach Syrien infrage gestellt. Das Auswärtige Amt sieht hier aber vorerst keinen Spielraum. Am 4. Oktober waren in Dresden zwei Männer Opfer einer Messerattacke geworden. Ein 55-Jähriger aus Krefeld starb, ein 53 Jahre alter Mann aus Köln überlebte schwer verletzt. Festgenommen wurde ein vorbestrafter 20-jähriger Tatverdächtiger, der aus Syrien stammen soll.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wies den Vorstoß Seehofers zurück. Der Bundesinnenminister ignoriere die Realitäten und versuche auf durchschaubare Weise, politisch zu punkten, sagte der SPD-Politiker am Freitag der "Welt". Die Bundesrepublik verfüge aktuell über keine diplomatischen Beziehungen und keine deutsche Vertretung in Syrien, die eine Rückführung anbahnen könnte. Auch Niedersachsen würde "sofort Straftäter oder Gefährder nach Syrien abschieben - dies ist derzeit allerdings unmöglich".

Die Lage in Syrien sei "weiterhin sehr komplex", hatte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes nach der Festnahme im Oktober gesagt. Rückkehrern drohten Gefahren aus unterschiedlichen Richtungen, "auch vom Regime selbst". Auch praktisch dürften Abschiebungen schwierig sein, da Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Syrien unterhält.

Seehofer gehe es aber darum, eine Botschaft an "Gefährder" und Straftäter zu senden, dass diese ihren Recht auf einen Aufenthalt in Deutschland verwirkt hätten, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Laut Innenministerium hielten sich Ende Oktober 5719 ausreisepflichtige Syrer in Deutschland auf. Rund 90 Islamisten, die von den Landesbehörden als "Gefährder" eingestuft werden, besitzen demnach ausschließlich die syrische Staatsangehörigkeit.

Aus Sachsen war dem Vernehmen nach kürzlich der Vorschlag gekommen, das Bundesinnenministerium könne doch zur Innenministerkonferenz, die am 9. Dezember beginnt, einen eigenen Bericht zur Lage in Syrien verfassen. Da stellt sich allerdings die Frage, auf Grundlage welcher Erkenntnisse das geschehen könnte. Denn eigene Informationsquellen hat das Innenministerium in Syrien wohl zur Zeit nicht. Seehofer zeigt bislang auch keine Neigung, in seinem Haus einen solchen Bericht in Auftrag zu geben. Er sagt: "Die gesamte Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass Straftäter und Gefährder unser Land verlassen." Als "Gefährder" bezeichnet die Polizei Menschen, denen sie eine politisch motivierte Straftat von erheblicher Bedeutung zutraut - etwa einen Terroranschlag.

Der Europäische Gerichtshof hatte in der vergangenen Woche entschieden, dass Wehrdienstverweigerer aus Syrien gute Aussichten auf die Anerkennung als Flüchtling in der EU haben. In vielen Fällen sei die Verweigerung Ausdruck politischer oder religiöser Überzeugung oder habe ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, befanden die Richter. Hintergrund war der Fall eines Syrers, der nach eigenen Angaben nach Deutschland geflohen war, um den Dienst nicht antreten zu müssen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährte ihm jedoch nur subsidiären Schutz - und keinen Flüchtlingsstatus. Für subsidiär Schutzberechtigte ist etwa die Möglichkeit des Familiennachzugs begrenzt.

Bei der Innenministerkonferenz im Mai hatten Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen zu Protokoll gegeben, sie plädierten in puncto Abschiebeverbot für "eine differenzierte Betrachtung" von Menschen, die sich als Anhänger von Präsident Assad zu erkennen gegeben oder zwischenzeitlich wieder in Syrien aufgehalten hätten.

© dpa-infocom, dpa:201127-99-480702/8

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