Geschichte - Münster:Missbrauch im Bistum Münster: Forscher wollen Namen nennen

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Blick auf das Fürstbischöfliche Schloss, Sitz der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Münster (dpa/lnw) - Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Bistum Münster werden am Ende auch die Namen von verantwortlichen Bischöfen oder Personalchefs genannt. Bei dem Forschungsprojekt der Uni Münster im Auftrag des Bistums stehe man damit auf einer Linie mit dem Bistum Aachen, wie der Leiter des Forschungsteams, Thomas Großbölting, am Mittwoch in einer Video-Pressekonferenz sagte. "Damit sind wir weit entfernt von den Vorgängen in Köln", sagte der Zeithistoriker. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hält bislang ein Gutachten wegen rechtlicher Bedenken zurück.

Großbölting kritisierte das scharf: "Wer Gerichtsfestigkeit verlangt, der verhindert jede Aufklärung." Die Uni Münster werde bei relativen Personen der Zeitgeschichte den Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Nach der Prüfung der Erwiderung werde das Forscherteam seine Arbeit dann möglicherweise anpassen oder auch korrigieren. Sollte es dann zu juristischen Auseinandersetzungen kommen, müsste ein Bistum auch mal Mut haben und Geld für einen Rechtsstreit in die Hand nehmen. Die Wissenschaftler sollen aufzeigen, ob und wie Strukturen in der katholischen Kirche jahrelangen sexuellen Missbrauch durch Priester ermöglicht haben.

Die Ergebnisse sollen im Frühjahr 2022 veröffentlicht werden. Laut Zwischenbericht wurden bislang 200 Beschuldigte und 300 Opfer identifiziert. Der Zeitraum betrifft Taten zwischen 1945 und 2018. Bei den bisher geführten 70 Interviews mit Betroffenen reichten die Vorwürfe von anzüglichen Kommentaren bis zu schwerem sexuellem Missbrauch über Jahrzehnte. Diese befragten Opfer waren im Schnitt elf Jahre alt und zu 90 Prozent männlich. Dabei sind die Zahlen zu ihren ersten Missbrauchserfahrungen über die Jahrzehnte unterschiedlich hoch. Vor 1950 gab es 2, in den 1950er-Jahren 11, im nächsten Jahrzehnt 31, dann 15, in den 1980er-Jahren 9 und dann nur 3. In der Zeit zwischen 2000 bis 2009 waren es 11.

Das Team um Großbölting, neben vier Historikern arbeitet eine Soziologin mit, habe bislang die volle Unterstützung des Bistums erhalten. Auch ein Gang ins Geheimarchiv des Bischofs sei ermöglicht worden. Dabei gebe es keine Hinweise auf vernichtete Akten. "Aber es wurde schlecht dokumentiert. Bis 2009 gab es keine Protokolle für Personalsitzungen", sagt Großbölting.

Dabei stehen die drei Bischöfe Joseph Höffner (1962-1969), Heinrich Tenhumberg (1969-1979) und Reinhard Lettmann (1980-2008) im Mittelpunkt der Forschung. Bei dem 2013 verstorbenen Lettmann sei noch offen, ob es ein System Lettman gebe, denn mehrere seiner Mitarbeiter in der Bistumsspitze wurden später Bischöfe in anderen deutschen Diözesen.

Nach Angaben der Forscher stehe aber bereits fest, dass es in Münster ein "massives Leitungs- und Kontrollversagen" gegeben habe. Zwischen den Bischöfen und den Priestern als Tätern habe es ein Spannungsverhältnis gegeben: Auf der einen Seite der Seelsorger, auf der anderen der Vorgesetzte. Die Sünde zu vergeben, sei dann oft wichtiger gewesen.

"Die Grenzen des Sagbaren waren in den 1950er-Jahre anders als heute. Es gab die typische katholische Schamkultur und Sprachlosigkeit", sagte die Soziologin Natalie Powroznik. Das habe sich grundlegend verändert und die gesellschaftliche Sensibilität sei gewachsen. Die Vorwürfe betreffen aber nicht nur die Kirchenleitung. Medien hätten Taten oft bagatellisiert. Und in einem Fall muss von Strafvereitelung im Amt ausgegangen werden. Ein Staatsanwalt soll vor Jahrzehnten nach Angaben des Historikers Klaus Große Kracht nach dem Anruf eines Weihbischofs auf eine Strafverfolgung verzichtet haben.

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