Wissenschaft:Kinder leiden psychisch stark unter Corona-Pandemie

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Die Lebensqualität von Kindern habe sich in der Corona-Krise weiter verschlechtert, resümieren die Forscher. Besonders betroffen seien Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen und mit Migrationshintergrund. Foto: Dorothée Barth/dpa (Foto: dpa)

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Hamburg (dpa) - Fast jedes dritte Kind zeigt ein knappes Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland psychische Auffälligkeiten. Das ist das Ergebnis der zweiten Befragung der sogenannten Copsy-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), die am Mittwoch vorgestellt wurde.

Sorgen und Ängste hätten noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen seien verstärkt zu beobachten, sagte die Leiterin der Studie, Ulrike Ravens-Sieberer. Vor der Corona-Krise gab es laut Untersuchung lediglich bei zwei von zehn Kindern ein Risiko für psychische Auffälligkeiten.

Die Lebensqualität habe sich weiter verschlechtert. Besonders betroffen seien Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen und mit Migrationshintergrund. Die seelischen Belastungen und Bedürfnisse von Familien und Kindern müssten während der Pandemie stärker berücksichtigt werden, betonte Ravens-Sieberer.

Die Copsy-Studie ist den Angaben zufolge die bundesweit erste ihrer Art. Von Mitte Dezember bis Mitte Januar nahmen mehr als 1000 Kinder und Jugendliche und mehr als 1600 Eltern mittels Online-Fragebogen teil. Mehr als 80 Prozent der Befragten hatten bereits bei der ersten Befragung im Juni vergangenen Jahres Antworten abgegeben. Dabei ging es um Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 7 und 17 Jahren. Um herauszufinden, wie sich die Werte verändert haben, verglichen die UKE-Forscher sie auch mit vor der Corona-Krise erhobenen Daten bundesweiter Studien.

Im Vergleich zur ersten Befragung sind die Zahlen gestiegen: 85 Prozent der befragten Kinder fühlen sich laut Untersuchung in der Corona-Krise belastet. Im Juni spürten lediglich 71 Prozent seelische Belastungen. Sieben von zehn Kindern empfinden ihre Lebensqualität als gemindert, bei der ersten Befragung war es noch sechs von zehn Kindern - und vor der Pandemie drei von zehn. Ängste und Sorgen haben laut Studie noch einmal deutlich zugenommen.

Zusätzliches Problem: Die Ernährung sei ungesünder, der Konsum von Süßigkeiten habe zugenommen, berichtete die Forscherin. Viele Kinder würden keinen Sport mehr treiben. "Angestiegen ist der Medienkonsum." Das habe natürlich auch mit dem Online-Unterricht zu tun. Homeschooling würden die Schüler inzwischen als viel anstrengender empfinden als noch im Frühsommer. Kinder und Jugendliche würden zudem über mehr Streit mit den Eltern berichten. "Die Familien geben sich wirklich große Mühe, alles unter einen Hut zu bekommen", sagte Ravens-Sieberer mit Blick auf Homeschooling und Arbeitsbelastung. "Die Eltern sind aber am Anschlag." Sie bräuchten deshalb dringend eine Perspektive und Unterstützung.

Sie wolle die Ergebnisse der zweiten Befragung nicht "überdramatisieren", betonte die Wissenschaftlerin. "Denn nicht jede psychische Auffälligkeit wird zur psychischen Störung. Aber wir müssen sie sehr ernst nehmen." Auch wenn Schule derzeit nur eingeschränkt möglich sei, müsse geschaut werden, dass es nicht nur um Lernerfolg gehe, sondern der Kontakt zu den Kindern erhalten bleibe. Sie bräuchten Zuspruch und Motivation.

Das UKE präsentierte noch eine weitere Studie, dabei ging es um Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern. Untersucht wurden die Monate März und April 2020. Deutsche Kliniken registrierten in diesem Zeitraum deutlich weniger Fälle von Kindeswohlgefährdungen als im Vorjahreszeitraum. Wissenschaftler gehen daher von einer gestiegenen Dunkelziffer aus.

"Kinder haben in Zeiten der sozialen Isolation weniger Möglichkeiten, Hilfesignale zu senden", sagte Jo Ewert, Kinderschutzkoordinator in der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE. An dieser Studie nahmen 159 Kinderschutzgruppen und -ambulanzen teil. Die Ambulanzen stellten einen Rückgang von 15 Prozent fest, im stationären Bereich waren es laut Studie 20 Prozent.

© dpa-infocom, dpa:210210-99-382771/3

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