Gesundheit:Deutschland will Gespräche mit Russland über Sputnik V

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Gesundheitsminister Jens Spahn will mit Russland bilateral über Impfstofflieferungen verhandeln. Foto: Markus Schreiber/AP POOL/dpa (Foto: dpa)

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Berlin/Brüssel (dpa) - Deutschland will mit Russland über mögliche Lieferungen des Corona-Impfstoffs Sputnik V sprechen.

Die EU-Kommission habe erklärt, dass sie über das russische Präparat keine Verträge wie mit anderen Herstellern schließen werde, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im WDR5-"Morgenecho". Daraufhin habe er bei einer Videokonferenz der EU-Gesundheitsminister erklärt, "dass wir dann bilateral auch mit Russland reden werden". Der staatliche russische Direktinvestmentfonds RDIF, der das Vakzin im Ausland vermarktet, bestätigte Gespräche mit der Bundesregierung.

Dabei gehe es um einen Vorvertrag für den Kauf des Impfstoffes. Details wurden zunächst nicht genannt. Zuletzt hatte der Fonds bei Twitter geschrieben, Deutschland im dritten Quartal mit mehr als 20 Millionen Impfdosen versorgen zu können. Deutschland und Russland würden es verstehen, "dass die Rettung von Menschenleben Priorität hat und das Timing von entscheidender Bedeutung ist". Der russische Impfstoff ist den Angaben nach bereits in fast 60 Ländern registriert.

Spahn betonte mit Blick auf Sputnik V, dass es zunächst eine Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA geben müsse. Auch müsse geklärt werden, wie viel Impfstoff Russland kurzfristig liefern könne. Dennoch starteten einige Bundesländer schon vor einer möglichen EU-Zulassung Alleingänge. Bayern unterzeichnete am Mittwoch einen Vorvertrag über 2,5 Millionen Sputnik-Dosen, Mecklenburg-Vorpommern zog am Donnerstag mit einer Option auf eine Million Dosen nach. Der Vorstoß der Länder stieß jedoch auch auf Kritik. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) etwa sieht die Bundesregierung für eine Beschaffung in der Pflicht, wie ein Regierungssprecher erklärte.

In Deutschland sind über die EU derzeit vier Impfstoffe zugelassen. Das Vakzin von Biontech und seines Partners Pfizer war der Erste. Inzwischen kamen die Zulassungen der Mittel von Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson hinzu. Nach dem Einstieg der Hausärzte stieg die Zahl der Impfungen nun sprunghaft an. So wurden am Mittwoch rund 656.000 Dosen verabreicht - 290.000 mehr als am Vortag, wie aus der Impfstatistik des Robert Koch-Instituts hervorgeht.

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hatte Anfang März ein Prüfverfahren für Sputnik V im Rahmen einer sogenannten Rolling Review begonnen. Dabei werden Testergebnisse bereits geprüft, auch wenn noch nicht alle Daten vorliegen und noch kein Zulassungsantrag gestellt wurde. Im April wollen EMA-Experten Produktion und Lagerung des Impfstoffs in Russland begutachten.

Die EU-Staaten Ungarn und Slowakei haben Sputnik bereits auf eigene Faust angeschafft, Ungarn erteilte eine Notfallzulassung. In der Slowakei veröffentlichte die staatliche Arzneimittelkontrolle SUKL einen kritischen Bericht über den russischen Impfstoff, der die Qualität bemängelte. Bisher wird der Impfstoff in dem Land noch nicht verwendet. Nach Angaben aus Russland war die Slowakei gebeten worden, den Impfstoff wegen "mehrfacher Vertragsverletzungen" zurückzuschicken, wie der staatliche Direktinvestmentfonds RDIF bei Twitter schrieb. "Impfstoffe sollten Leben retten und nicht für geopolitische und interne politische Kämpfen eingesetzt werden."

Deutschland hatte bislang Impfstoff ausschließlich zusammen mit den anderen EU-Staaten angeschafft. Diesen Weg hatte die Bundesregierung auch für Sputnik V gefordert - und eine Absage kassiert. Ein Sprecher der EU-Kommission betonte, ein Vorgehen wie das von Deutschland bedeute nicht das Ende der europäischen Impfstoffstrategie. Vielmehr stehe es Ländern frei, bilateral Impfstoff zu beschaffen, der nicht Bestandteil des gemeinsamen Vorgehens sei.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, sagte im ZDF-"Morgenmagazin", die publizierten Daten zu Sputnik V "sehen sehr gut aus", er wisse aber nicht, was der EMA an zusätzlichen Daten vorliege. "Wenn der Impfstoff geprüft und zugelassen wird, hätte ich persönlich dagegen nichts einzuwenden."

Spahn betonte nun, dass geklärt werden müsse, welche Mengen des Sputnik-Impfstoffs wann geliefert werden könnten: "Um wirklich einen Unterschied zu machen in unserer aktuellen Lage, müsste die Lieferung schon in den nächsten zwei bis vier, fünf Monaten kommen - ansonsten haben wir so oder so mehr als genug Impfstoff."

Der Impfstoff-Beauftragte der EU-Kommission, Thierry Breton, erwartet durch Sputnik V hingegen keine schnell Entlastung. Man müsse sich auf die Produktion jener Impfstoffe konzentrieren, die in der EU bereits zugelassen oder kurz davor seien. Auch ohne Sputnik V rechne er mit genügend Dosen bis Ende Juni, um rund 70 Prozent der Erwachsenen zu impfen. Im ersten Quartal seien 108 Millionen Dosen geliefert worden, für das zweite Quartal rechne er mit 360 Millionen weiteren.

Dagegen warnte der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba in der "Bild" vor dem russischen Impfstoff. "Leider geht es bei Sputnik V nicht um humanitäre Ziele. Russland benutzt es als ein Werkzeug, um seinen politischen Einfluss zu vergrößern." Die Ukraine sieht sich nach der russischen Einverleibung ihrer Halbinsel Krim am Schwarzen Meer in einem Krieg mit dem Nachbarland.

Spahn sagte mit Blick auf den Impfstoff von Astrazeneca, dass dieser weiterhin nicht bei Menschen unter 60 Jahren eingesetzt werden sollte. Die EMA hatte am Mittwoch trotz sehr seltener Fälle von Blutgerinnseln in Hirnvenen jüngerer Menschen weiterhin uneingeschränkt grünes Licht für die Anwendung des Impfstoffes gegeben. Doch auch andere EU-Staaten schränkten den Gebrauch ein. So sollen in Belgien zunächst nur Menschen über 55, in Spanien und Italien nur Menschen über 60 mit Astrazeneca geimpft werden. In Großbritannien wird er nur über 30-Jährigen gespritzt.

Die Entscheidung über den Wechsel von Astrazeneca zu einem anderen Präparat für die Corona-Zweitimpfung in Deutschland soll erst in der kommenden Woche fallen. Zunächst wollten die Gesundheitsminister der Länder am nächsten Dienstag mit Spahn und dem Stiko-Vorsitzenden Mertens noch offene Fragen diskutieren, hieß es am Donnerstag aus den Reihen der Länderminister.

© dpa-infocom, dpa:210408-99-123802/7

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