Kriminalität - Homburg:Experten beginnen mit Aufarbeitung von Missbrauchsskandal

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Der Eingangsbereich der Jugendpsychatrie des Universitätsklinikums in Homburg. Foto: Oliver Dietze/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Homburg (dpa/lrs) - Fast zweieinhalb Jahre nach Bekanntwerden eines Skandals um mutmaßlichen sexuellen Missbrauch von Kindern am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) wollen Experten die Fälle aufarbeiten. Die unabhängige Kommission ging am Dienstag unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamtes und heutigen Bundesvorsitzenden des Weißen Rings, Jörg Ziercke, in Homburg an den Start. Er sagte: "Wir wollen den Betroffenen die persönliche und öffentliche Anerkennung zuteil werden lassen, die sie bisher vermissen. Wiedergutmachung und Entschädigung gehören selbstverständlich dazu."

Ende Juni 2019 war bekanntgeworden, dass ein 2016 gestorbener Assistenzarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am UKS in Homburg von 2010 bis 2014 mehrere Kinder bei Untersuchungen sexuell missbraucht haben soll. Die Staatsanwaltschaft hatte damals wegen 34 Verdachtsfällen ermittelt - das Verfahren aber nach dem Tod des Arztes eingestellt. Die Eltern der betroffenen Kinder waren über Jahre nicht informiert worden: Das erfolgte erst im Sommer 2019.

Ziercke betonte, die sechsköpfige Kommission wolle, wenn die Betroffenen zustimmen, bekannte Fälle nachträglich beleuchten und mögliche bisher unbekannte Verdachtsfälle zutage fördern. Zum Auftrag des Gremiums gehöre zudem "die Analyse der Tatumgebung" und das Erkennen "tatfördernder Strukturen". Auch Schutzkonzepte, Prävention und eine Einschätzung einer angemessenen Opferentschädigung stünden auf der Liste.

"Wir wollen die Betroffenen und ihre Geschichte in den Mittelpunkt der Aufarbeitung stellen", sagte Ziercke. "Wir hoffen, dass wir so mit dazu beitragen können, dass die Betroffenen das Geschehene selbst besser verarbeiten können." Man sei sich bewusst, "dass wir das Geschehene nicht rückgängig machen können". Man könne aber dazu beitragen, "das zerstörte Vertrauen wieder aufzubauen".

Der Vorsitzende des Aufsichtsrates des UKS, Staatssekretär Henrik Eitel (CDU), sagte: "Es ist klar, dass der einzig gangbare Weg hier eine offene und rückhaltlose Aufarbeitung ist." Das bedeute: das Geschehene aufzuklären und Sicherungen für die Zukunft einzubauen. Auf dem Weg der Aufarbeitung seien in den letzten zwei Jahren bereits viele Schritte gegangen worden.

Aber: "Wir wollen, dass es noch stärker gelingt, den Betroffenen und ihren Familien Gehör zu verschaffen." Es gehe auch um die Anerkennung des Leides, das erlitten wurde, sagte Eitel. Und um das Angebot von gezielter Unterstützung für die Familien. Insgesamt waren zu der Veranstaltung rund 300 Betroffene, die damals Patienten des Arztes waren, beziehungsweise deren Familien, eingeladen worden.

Die Ärztliche Direktorin am UKS, Jennifer Diedler, sagte, das Klinikum habe heute noch "mit den Schatten aus der Vergangenheit zu kämpfen". Deswegen sei sie froh, dass man sich nun den Schatten stelle und an einer transparenten Aufarbeitung mitwirke. "Diese Aufarbeitung kann aus meiner Sicht nur unabhängig von außen erfolgen. Hierzu brauchen wir als Klinikum Unterstützung", sagte sie.

Der Assistenzarzt, der die Taten begangen haben soll, war am UKS 2014 entlassen worden. Es bestehe der Verdacht, dass er "nicht medizinisch notwendige Untersuchungen" im intimen Bereich an Kindern vorgenommen habe, "die als Routinemaßnahmen dargestellt wurden", hatte das UKS im Sommer 2019 mitgeteilt.

Die Mitwirkung von Betroffenen und deren Angehörigen sei eine wichtige Voraussetzung zum Gelingen der Aufarbeitung, sagte Ziercke. Die Kommission werde mindestens bis Ende 2022 arbeiten. Und: "Wir legen unseren Bericht nicht im Aufsichtsrat zur Genehmigung vor."

Der Saar-Landtag hatte im September 2019 einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der demnächst einen Abschlussbericht zur politischen Bewertung der Vorgänge vorlegt.

© dpa-infocom, dpa:211102-99-835440/3

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