Katastrophenschutz - Stuttgart:Bomben und Bauruinen: Kein einziger Bunker im Land intakt

Katastrophenschutz - Stuttgart: Ein ausgedienter Bunker aus dem zweiten Weltkrieg. Foto: Felix Kästle/dpa/Archivbild
Ein ausgedienter Bunker aus dem zweiten Weltkrieg. Foto: Felix Kästle/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Stuttgart (dpa/lsw) - Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine drängt Baden-Württemberg den Bund zu mehr Engagement für den Schutz der Zivilbevölkerung. Seit Kriegsbeginn ist auch hierzulande die Angst vor Krieg und Krise eingezogen. Was, wenn der Konflikt im Osten eskaliert? Was, wenn auch bei uns Bomben fallen? Dann soll die Zivilbevölkerung in Bunkern Schutz suchen, so die Idee.

Einfachste Arithmetik treibt den Katastrophenschützern aber immer mehr Sorgenfalten auf die Stirn: In Baden-Württemberg leben derzeit mehr als elf Millionen Menschen. Einst, zu Zeiten des Kalten Krieges, gab es für die Bürger im Südwesten 547 öffentliche Schutzräume mit mehr als 400.000 Plätzen. Davon übrig geblieben sind 220 Schutzräume mit rund 176.000 Plätzen. Und davon wirklich einsatzbereit? Sind null.

Innenminister Thomas Strobl schlägt deshalb nun Alarm - und will bei der Innenministerkonferenz diese Woche Druck machen. Baden-Württemberg fordert mit Unterstützung Hessens vom Bund die Erarbeitung eines klaren Schutzraumkonzepts für die Zivilbevölkerung. "Es gilt, das Undenkbare zu denken und sich entsprechend darauf vorzubereiten", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. "Deshalb brauchen wir vom Bund auch dringend klare Aussagen unter anderem für bauliche Voraussetzungen von Alltagsgebäuden, Prüfung unterirdischer Straßen- und Bahnsysteme zur Beherbergung von Menschen, aber auch Empfehlungen für die Bevölkerung an sich."

Bis 2007 wurden die Bunker in Deutschland noch funktional erhalten. Dann änderte sich der Kurs: "Gegen aktuelle Gefährdungen wie Klimawandel, Naturkatastrophen und Terrorismus bieten öffentliche Schutzräume keinen hinreichenden Schutz", hieß es von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Der Bund stellte den Erhalt der Bunker im Einvernehmen mit den Ländern ein. "Die bestehenden öffentlichen Schutzanlagen werden seitdem nach und nach abgewickelt." Bunker wurden stillgelegt, zurückgebaut oder anderweitig genutzt.

Viele Anlagen existieren deshalb zwar noch, sind aber nicht mehr funktionsfähig. Die BImA unterzieht einzelne Anlagen derzeit einer Bestandsaufnahme. "Die ersten Zwischenergebnisse legen allerdings den Schluss nahe, dass diese nicht mehr einsatzbereit sind", schreibt das baden-württembergische Innenministerium. Staatssekretär Wilfried Klenk (CDU) hatte im Mai auf eine parlamentarische Anfrage hin erklärt, dass es keinen einzigen einsatzbereiten Bunker in Baden-Württemberg gibt, in dem die Menschen im Ernstfall vor Luftangriffen oder im Katastrophenfall Schutz suchen können.

Neue Bunker wurden seit dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren nicht mehr gebaut. "Das ist Sache des Bundes und muss an dieser Stelle entschieden werden", heißt es aus dem Innenministerium. Zivile Verteidigung sei Bundesaufgabe.

Die meisten Anlagen, die es von früher noch gibt, wurden zudem formell aus der sogenannten "Zivilschutzbindung" entlassen, der Staat hat rechtlich darauf gar keinen Zugriff mehr. "Die ursprünglich öffentlichen Schutzraumanlagen befinden sich überwiegend in Privateigentum sowie im Eigentum von Kommunen", so das Innenministerium. Noch in der Zivilschutzbindung befinden sich derzeit 220 Schutzräume im Südwesten. Die seien aber seit Jahren nicht mehr fachgerecht unterhalten worden, so das Ministerium. "Die Schutzräume müssen die technische Ausstattung beispielsweise im Bereich Lüftung, Strom- und Wasserversorgung vorweisen, um dem Aufenthalt von Menschen zu ermöglichen."

Rolf Zielfleisch ist Vorsitzender des Vereins Schutzbauten Stuttgart, betreibt einen Bunker als Museum und wartet die Anlagen. Er kennt sich mit Bunkern aus. Zu Beginn des Ukraine-Krieges wählten einige Bürger seine Nummer, suchten Rat. Viele Bauwerke im Land seien noch intakt, aber die Türdichtungen, die Luftfilter oder die Notstromaggregate nicht, berichtete er. 2015 sei die Einrichtung in den Stuttgarter Bunkern mit Unterstützung des Bundes abmontiert und vernichtet worden, von der Gabel bis zur Sitzbank. Mit Konserven würden die Bunker sowieso erst im Krisenfall bestückt, sagte Zielfleisch. Und: "Einer atomaren Auseinandersetzung hätten diese Bunker eh nie Stand gehalten. Ein Stück weit war das nur Placebo", erzählte er. "Bei einer entsprechend starken Atombombe nutzt mir ein Bunker nichts."

Der Bunkerexperte hält grundsätzlich nichts davon, staatliches Geld in Bunker zu stecken: "Das ist unsinnig", sagte Zielfleisch. "So viele Bauwerke können sie gar nicht machen." Auch die AfD im Landtag kritisierte Strobls Vorstoß. "Bunker und Schutzräume in Baden-Württemberg - Strobls Ideen sind wie immer unterirdisch", kommentierte AfD-Fraktionschef Bernd Gögel den Vorstoß. Elf Millionen Bürger könnten nicht in unterirdische Bunkeranlagen gebracht werden, das sei realitätsfern. Stattdessen brauche es Schutzkonzepte gegen Pandemien, Energieknappheit, Armut und Wohnungsnot.

Der Experte der SPD für Bevölkerungsschutz, Klaus Ranger, hält zwar eine kritische Untersuchung der Bunkerlandschaft für richtig. "Allerdings dürfen wir nicht in Panik verfallen: Dass der Innenminister nun öffentlich Alarm schlägt, sorgt für noch mehr Beunruhigung in ohnehin unruhigen Zeiten", sagte er. "Schutzräume können auch im Kriegsfall nur dann einen Teil zum Bevölkerungsschutz beitragen, wenn sie zeitgemäß konzipiert sind. Dies gilt es jetzt zu untersuchen - sachlich und ohne Panik."

© dpa-infocom, dpa:221201-99-732505/4

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