Österreich:Ein Flüchtling, der in Österreich Präsident wurde

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Amtsantritt in der Hofburg: Alexander Van der Bellen (Mitte) mit Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (links) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (Foto: REUTERS)

Van der Bellen hält zum Amtsantritt eine bescheidene und zugleich große Rede. Sie lässt hoffen, dass er selbst jene überzeugen kann, die nicht für ihn gestimmt haben.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Österreich hat, nach einem langen Interregnum, wieder einen Bundespräsidenten. Dass schlussendlich nicht ein Rechtspopulist, sondern ein Ex-Grüner gewählt wurde, war auch internationalen Medien im Dezember dicke Schlagzeilen wert. Tenor: Der Rechtsradikalismus ist abgewählt. Dementsprechend wurde die Antrittsrede des Neuen, Alexander Van der Bellen, von vielen als Demonstration dessen gelesen, was dem Land erspart geblieben ist - beziehungsweise was weiter den Grundton ausmachen soll: Einheit statt Spaltung, Zuversicht statt Schlechtreden, Toleranz statt intellektuelle Enge.

Van der Bellen hat eine große Rede gehalten, weil sie klein, bescheiden, menschlich und selbstironisch war. Er hat sich demonstrativ als Flüchtling bezeichnet, der in Österreich Präsident werden konnte, er hat gleich zu Beginn alle Ausländer im Land mit angesprochen, er hat die EU als Friedensprojekt gewürdigt und Österreicher Täter und Opfer im Holocaust genannt - scheinbare Selbstverständlichkeiten nur deshalb, weil ein Grüner sie sagt. Hätte sein Kontrahent im Wahlkampf, Norbert Hofer, an seiner Stelle gesprochen, hätte er sich und seine Partei in der neuen Stellung profilieren müssen, hätte Pathos und Härte gemischt und vielleicht die Instrumente gezeigt. Seine Anhänger hätten das zumindest von ihm erwartet. Dann hätte an diesem Donnerstag in Wien eine Stimmung geherrscht wie in Washington nach der Vereidigung von Donald Trump: not my president.

Van der Bellen
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Nach einem nicht enden wollenden Wahlkampf wird Van der Bellen als Bundespräsident vereidigt. In seiner Antrittsrede appelliert er an die Einigkeit des Landes. Doch die wird gerade wieder auf die Probe gestellt.

Von Leila Al-Serori

Van der Bellen hat gute Chancen, jene zu überzeugen, die ihn nicht gewählt haben. Ohnehin ist das Bild vom tief gespaltenen Land, auf welches das Menetekel eines Fast-Präsidenten Hofer hinzuweisen schien, zum Teil einer gut geölten Wahlkampfmaschinerie und zum anderen den beiden - für österreichische Verhältnisse - extremen Kandidaten zuzuschreiben. Die Mehrheit konnte sich letztlich gut auf einen netten Grünen einigen, und die Minderheit wollte nicht unbedingt gleich einen anderen Staat.

Der neue Präsident Van der Bellen könnte selbst Gegner überzeugen

Wenn es um die Kanzlerfrage geht, liegt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache immer noch weit hinter dem SPÖ-Kanzler. Und wenn es um die Stimmen für eine FPÖ-Regierung geht, liegt die Partei da, wo sie seit Jahren ist: bei etwas mehr als 30 Prozent. Voten für die FPÖ sind weiterhin erst einmal Proteststimmen, stehen für Wut auf die da oben, auf die Gutmenschen, auf die G'wappelten. Derweil steigt die Zustimmung zur EU, und die Werte für die Regierung sind nicht mehr im freien Fall.

Damit das so bleibt, geht auch Van der Bellen in die Konfrontation. Er mahnte die Regierung zur Zusammenarbeit. Die Koalition solle endlich Ergebnisse bringen, statt immer neue Ideen zu präsentieren und mit Neuwahlen zu drohen. Van der Bellen dürfte ein Präsident werden, der viel dafür tun wird, den Rechtspopulisten Heinz-Christian Strache nicht als Kanzler zu vereidigen.

Derzeit liegen die Freiheitlichen in allen Umfragen vorn; insofern wäre es klug, wenn Rot-Schwarz bis zum offiziellen Wahltermin im Herbst 2018 weiterregieren und ein paar Fakten schaffen würde. Stattdessen: Drohungen, Ultimaten, Neuwahl-Geplänkel, strategische Papiere. Dutzende Ideen kursieren, warum es jetzt sinnvoll wäre, das Umfragehoch des roten Kanzlers zu nutzen, der bei den Zustimmungswerten vor seiner Partei liegt, oder den populären, schwarzen Außenminister ins Rennen zu schicken, um die FPÖ zu schwächen.

Rot und Schwarz rechnen herum, ob es ein Momentum gibt, das ihnen einen Vorteil vor den Blauen verschafft. Spindoktoren schreiben derzeit die Antworten darauf. Die nächsten Tage zeigen, ob Österreichs Regierungsparteien glauben, sie hätten einzeln und wahlkämpfend größere Chancen, den Geist des Rechtspopulismus in die Flasche zurückzudrängen.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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