Borussia Mönchengladbach:Christoph Kramer war der beste Deutsche bei der WM

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"Wenn ich irgendwann noch mal gefragt sein sollte, bin ich natürlich da", sagt Christoph Kramer mit Blick auf die DFB-Auswahl. (Foto: Thomas Starke/Getty)

Gladbachs Weltmeister von 2014 bekam viel Lob für seine erfrischenden Auftritte als Experte im TV-Studio. Wer ihm begegnet, erlebt einen Mann mit Haltung, der auch dem DFB gut tun könnte.

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Die Sommerpause von Christoph Kramer begann mit einem Anruf und einem Angebot, das er nicht ablehnen wollte. Er hatte nur leise Bedenken: Was, wenn Deutschland bei der WM in der Vorrunde ausscheidet? Was, wenn Bundestrainer Joachim Löw in die Kritik gerät?

Es wurde gehüstelt und gekichert in der Leitung: Ja, dann säße er so richtig in der Patsche. Aber nein, das würde natürlich niemals geschehen. Also sagte der zwölfmalige Nationalspieler Christoph Kramer, 27, zu, vor einem Millionenpublikum live im ZDF zum Nationalmannschaftskritiker zu werden.

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Knapp einen Monat nachdem er also im Fernsehen das deutsche Vorrunden-Aus erklärt hat, schlendert Kramer nach dem Mittagessen auf die Terrasse eines Hotels am Tegernsee. Vom Nachbartisch schauen Fans von Borussia Mönchengladbach herüber, ihr Klub ist zum Trainingslager hier. Kramer lässt sich in einen Stuhl fallen. "Frisch. Eloquent. Cool", so hat ihn der Stern beschrieben und ihn "die Entdeckung der WM" genannt. Es hieß, er sei der beste deutsche Fußballer während des Turniers gewesen. Ohne Fußball zu spielen. Im Studio in Baden-Baden.

Wenn man ihn darauf anspricht, dann lächelt er, irgendwo zwischen kokett und genervt. Es ist ja nun die Frage, was er daraus macht, wenn er demnächst wieder für Mönchengladbach Fußball spielt.

Kramer, Weltmeister 2014, der für seinen Blackout im Finale von Rio de Janeiro berühmte Mittelfeldspieler, konnte natürlich nur als Experte arbeiten, weil sein Ruhm auf dem Rasen zuletzt eher endlich war. In Gladbach war er Teil einer Mannschaft, die vergangene Saison hinter den Erwartungen zumindest der eigenen Anhänger zurückblieb und Tabellenneunter wurde. Kramer ragte nicht heraus. Er spielte 27-mal, kleinere Verletzungen warfen ihn zurück. Und so war der Profi, der sein letztes Länderspiel im März 2016 absolviert hatte - eine Minute gegen Italien - nicht überrascht davon, dass er bei der Nominierung des WM-Aufgebots keine Rolle spielte. Warum also nicht über Fußball sprechen, als eine Art Ferienjob?

Kramer erzählte im Fernsehen Anekdoten von der WM 2014: dass sich Nationalspieler mit dem Helikopter zum Golfplatz fliegen ließen. Er berichtete aus eigener Erfahrung, wie der Uruguayer Luis Suárez grinse, wenn er sich fallen lasse. Er analysierte die Abhängigkeit Argentiniens von Lionel Messi. Und er sagte: "Mallorca, da muss man als Fußballer einmal im Jahr hin." Was dann tatsächlich zum Witzigsten zählte, was das öffentlich-rechtliche Fernsehen bei der WM zu bieten hatte.

Im Rampenlicht: 2014 stemmte Christoph Kramer den WM-Pokal hoch. (Foto: Laurence Griffiths/Getty)

Als Deutschland ausschied, erklärte das Kramer unaufgeregt. "Für mich ist das natürlich blöd gelaufen", sagt er am Tegernsee. "Die deutschen Spieler zu kritisieren, das fiel mir natürlich schwer", er fühlte sich den Kollegen verbunden: "Es war ein schmaler Grat, aber ich glaube, dass ich darauf gut balanciert bin." Kramer widersprach der Mehrheitsmeinung, dem Team habe es in Russland an der richtigen Mentalität gefehlt. Er kann sich darüber in Rage reden. "Nie würde ich der Mannschaft unterstellen, dass es charakterlich nicht passt." Das zu tun, sei ein typisch deutscher Reflex, der wenig mit Fußballverstand gemein habe, findet er. Man müsse auch mal Spielglück als Teil der Wahrheit akzeptieren. Auch das habe 2014 - Stichwort: Algerien! - zum Titel geführt; und nun, als es ausblieb, zum Ausscheiden.

Es ist diese negative Aufgeregtheit, die ihn auch in der Debatte um Mesut Özil stört. Aus sportlicher Sicht, sagt Kramer, "verliert man einen Spieler, der sich sehr spielintelligent in den Räumen bewegt hat. Da wird sicher was fehlen. Aber wir haben in Deutschland einen Pool von Spielern, die das ausfüllen können." Zu Özils Vorwürfen, vom DFB rassistisch behandelt worden zu sein, sagt er: "Rassismus ist das nicht. Rassismus ist ein ganz krasser Begriff. " Doch er sagt auch: "Natürlich war das jetzt ein unglückliches Ende."

Wenn man Kramer im Fernsehen sah und wenn man ihn so diplomatisch reden hört, dann liegt der Gedanke nicht fern, dass ein Spieler wie er einer in sich zerrissen wirkenden Nationalmannschaft zumindest atmosphärisch guttun könnte - auch sportlich im Mittelfeld. Es ist ein Gedanke, mit dem sich womöglich auch Joachim Löw beschäftigt. Die Frage ist bloß: Schafft Kramer das noch mal? Geht das, vom Nationalspieler zum Nationalelf-Experten - und zurück?

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Stürmer Nils Petersen, der Beinahe-WM-Teilnehmer vom SC Freiburg, hat in dieser Woche Interessantes gesagt, nicht nur weil er erklärte, ein "großer Özil-Fan" zu sein. Er sagte, im Nationalteam würden nun "die Karten ganz neu gemischt" - und brachte einfach mal ein paar überraschende Namen auf seiner Position ins Spiel: Mark Uth aus Schalke, Niclas Füllkrug aus Hannover, Davie Selke aus Berlin.

Über Kramers Position, die Sechs im defensiven Mittelfeld, wird auch diskutiert. Sie galt mit Toni Kroos, Sami Khedira und Ilkay Gündogan als luxuriös besetzt und nach der WM als mitschuldig für die Konteranfälligkeit. Die Diskussion, sagt Kramer, habe er im ZDF gern angefacht - er zwinkert, ein Witz. Er zwinkert nicht, als er sagt: "Die Nationalelf ist nichts, was ich abgehakt habe." Er meint das nicht als Kampfansage, aber als vorsichtigen Hinweis: "Wenn ich irgendwann noch mal gefragt sein sollte, bin ich natürlich da."

Um gefragt zu sein, muss er erst mal für Gladbach überzeugen, womöglich in einem neuen System. Für mehr Variabilität lässt Trainer Dieter Hecking neben dem erprobten 4-4-2 auch ein 4-3-3 üben, mit nur noch einer Sechs. "Das tut uns gut", sagt Kramer, er lobt die Trainingsarbeit.

Und auch die Mentalität im Team ist anscheinend in Ordnung. Kramer hat das beobachtet, als er die Kollegen Anfang Juli zum Trainingsauftakt traf. So, so, du bist jetzt also ein Experte, sagten sie - und nahmen ihn erst mal angemessen auf die Schippe. Kramer sagt: "Das wäre ja krass, wenn es nicht so gewesen wäre."

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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