Brexit:Dieser Mann könnte Theresa May nachfolgen

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Sechs Minister haben sich laut Times on Sunday bereits dafür ausgesprochen, dass Mays Vize ihr nachfolgt. (Foto: Bloomberg)

David Lidington gilt als jemand, der keine Feinde hat - und er kennt sich in Brüssel aus. Was allerdings gegen den Vize-Parteichef der Tories spricht: Er war überzeugter "Remainer".

Von Cathrin Kahlweit

David Lidington wird gemeinhin als "De-facto-Vertreter" von Theresa May bezeichnet, was in vieler Hinsicht eine Hilfskonstruktion ist. Tatsächlich ist er "deputy leader" der Tories, also Vizeparteichef der konservativen Partei und insofern Stellvertreter der Parteichefin, die - noch - Theresa May heißt. Außerdem hat Lidington, der in den Medien gern "der graue Mann" genannt wird, weil er so effizient wie unauffällig im Hintergrund arbeitet, als Minister des Kabinettsbüros eine zentrale Position in der Regierung inne, die in Deutschland wohl mit dem Kanzleramtsminister vergleichbar wäre. Aber das sind nur Titel. Die eigentliche Bedeutung in der britischen Politik des 62-Jährigen ist kaum zu überschätzen.

Lidington gilt, und das allein ist eine Kunst, als jemand, der keine Feinde hat. Er ist auf allen Seiten des zerstrittenen Parlaments hoch angesehen, hat im Unterhaus mehrmals die Regierungsposition vertreten, wenn May abwesend oder heiser war - und ist nicht niedergebrüllt worden. Das darf als Erfolg gewertet werden. Wohl auch deshalb wird er derzeit als ein möglicher Nachfolger der Premierministerin gehandelt, sollte diese zum Rücktritt gezwungen werden. Die Zeichen dafür mehren sich.

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Revolte in London? Die britische Premierministerin könnte schon bald von ihrem Kabinett zum Rücktritt gezwungen werden, spekulieren britische Medien. Das sei weit hergeholt, sagt ihr angeblicher Nachfolger.

Dabei prädestiniert ihn seine Position im Brexit-Streit eigentlich nicht zum Interims-Premier, denn der erfahrene Tory-Politiker, der seit 1992 im Parlament sitzt, war überzeugter Remainer, also ein Gegner des EU-Austritts. Als Europastaatssekretär unter David Cameron kennt er Brüssel gut und hat sich in der Brexit-Kampagne eindeutig gegen diejenigen positioniert, die in der Europäischen Union einen korrupten Moloch und einen Gegner sahen. Er sprach sich damals für Reformen der EU aus; sie müsse zum Beispiel mehr Aufgaben an die Nationalstaaten zurückübertragen. Ein Austritt sei allenfalls eine Notlösung. Sollte sich Europa für Reformen öffnen, würden auch die massiven Zweifel der britischen Bevölkerung abnehmen. Jetzt, Jahre später, hat er für das von May ausgehandelte EU-Austrittsabkommen als beste Kompromisslösung gekämpft - sehr zum Missfallen der Leaver wie der Remainer in der Fraktion, die den Deal allesamt ablehnen.

Der Mann aus Südlondon ist daher kein natürlicher Kandidat für die Übernahme des Amts von May, denn vor allem für die Brexiteers in der Partei, die einen harten Brexit fordern, steht er eindeutig auf der falschen Seite. Zudem werden ein halbes Dutzend weiterer Namen gehandelt, die sich den schweren Job zutrauen, die tiefe Spaltung im Land sowie die Lagerbildung in Partei und Parlament zu überbrücken - und einen neuen Deal mit der EU auszuhandeln. Andererseits spricht einiges dafür, dass der studierte Historiker und Vater von vier Söhnen Chancen hat, zumindest für ein paar Monate den Karren aus dem Dreck ziehen zu dürfen - so er das überhaupt wollen sollte.

Das Land braucht womöglich sehr schnell einen neuen Regierungschef oder eine Regierungschefin, der oder die Brücken bauen kann und nicht von persönlichem Ehrgeiz getrieben wird. Ein Nachfolger, so die aktuelle Debatte, könnte das Amt kommissarisch bis zum Herbst übernehmen. Auf diese Weise würde der Partei vorerst ein zeitraubender, offizieller Auswahlprozess für einen Nachfolger von May erspart bleiben, der im aktuellen Chaos der Brexit-Verhandlungen zur Unzeit käme. Sechs Minister, berichtet die Times on Sunday, hätten sich bereits für Mays Vize ausgesprochen. Innenminister Sajid Javid, dem ebenfalls Ambitionen zugeschrieben werden, soll eingewilligt haben, bis zum Herbst dieses Jahres mit eigenen Ambitionen zurückzustehen. Lidington wiederum erklärte am Sonntag, keine Ambitionen zu haben, Mays Job zu übernehmen, und er warb um Unterstützung für seine Chefin. Was nicht heißt, dass er am Ende nicht doch bereitsteht, wenn das Kabinett ihn nur heftig genug bittet

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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