Ernährungswende in München:Das Ende der Currywurst, wie man sie kennt

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Ein geplantes städtisches "Ernährungshaus" soll zeigen, wie man gesund und klimaneutral isst. In erster Linie wird man sich auf die Außer-Haus-Verpflegung konzentrieren, aber auch an Kurse ist gedacht.

Von Franz Kotteder

Abstrakte Gedanken drücken sich oft in gebauter Form aus. Kathedralen stehen für den christkatholischen Glauben, Rathäuser für die kommunale Selbstverwaltung, ein Staudamm für die Beherrschung der Naturkräfte. Neuere Denkweisen tun sich da nicht so leicht. Die Mobilitätswende etwa hat die knallroten Fahrradwege in der Fraunhoferstraße anzubieten und stinkt damit naturgemäß etwas ab, verglichen mit der BMW-Welt. Die Energiewende hat immerhin riesige Windräder und großflächige Solarparks anzubieten. Und die Ernährungswende?

Bekommt immerhin ein Haus. Mehr noch: Das Haus ist sogar ein ganz wesentlicher Grundbestandteil dieser Ernährungswende. "Mit einem Ernährungshaus können wir als Stadt zeigen, dass wir es mit der Ernährungswende ernst meinen", sagt die grüne Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, die so ein Haus schon 2018 in ihrer Zeit als Stadträtin beantragt hatte, "in erster Linie dient es der Ernährungsbildung und Vernetzung, ebenso kann dort auch die Direktvermarktung koordiniert werden und die Beratung von Gastronomie und Großveranstaltungen".

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Damit sind die vier wesentlichen Aufgaben der geplanten neuen Einrichtung benannt: Bilden und Fortbilden, bestehende Initiativen zusammenbringen, für die Ernährungswende werben sowie Kantinenbetreiber und Gastronomen aller Art beraten, wie sie diese umsetzen können. "Das wird sicher eine Einrichtung", sagt auch Daniela Schmid vom Münchner Ernährungsrat, "die einen großen Anschub für das Thema geben wird." So ein Ernährungshaus müsse "als Drehscheibe" wirken zwischen den verschiedenen Einrichtungen und Initiativen. "Der Erfolg hängt langfristig davon ab, ob es sichtbar ist und ob es gleich von Anfang an Erfolge verzeichnen und die Branche begeistern kann", sagt Schmid.

Sichtbar ist allerdings momentan noch so gut wie gar nichts von diesem Projekt, aber das wird sich bald ändern. Die Abteilung "Biostadt München" im Referat für Klima- und Umweltschutz arbeitet schon seit geraumer Zeit an einem Konzept für das Haus und will es noch in diesem Jahr im Stadtrat präsentieren. Auch die Standortsuche kommt gut voran, man ist schon dabei, ein Gebäude anzumieten. Details werden aber noch nicht verraten: Im Vertragspoker könnten ja die Preise steigen, wenn die Adresse zu früh an die Öffentlichkeit gelangt. Fest steht aber: Es wird sich wohl eher an einem Stadtbezirk an der Grenze zum Umland befinden, weil es nur dort noch genügend freie Flächen gibt, zum Beispiel für praktische Übungen in Urban Gardening. Es soll aber mit der S-Bahn gut erreichbar sein.

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Ihm geht es nicht darum, den Menschen allen Fleischkonsum zu verbieten. Vegetarische und vegane Gerichte sollen durch Genuss beim Verzehr begeistern.

Von Franz Kotteder

Vorbilder für das Ernährungshaus, für das man noch einen etwas sinnlicheren Namen sucht, gibt es bereits. Allen voran das mittlerweile nicht mehr existierende dänische "House of Food".

Aber auch in Berlin gibt es - im Jahr 2018 initiiert von der rot-rot-grünen Stadtregierung - das Projekt "Kantine Zukunft". Beide Vorhaben konzentrierten sich bislang stark auf Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung, also Kantinen, Mensen, Cateringfirmen, aber auch auf die örtliche Gastronomie. Denn hier, in den sogenannten öffentlichen Küchen, lässt sich halt doch sehr viel auf einen Schlag verändern, mehr als in den Einzelhaushalten.

Nicht ohne Ironie ist also, dass sich so ein Ernährungshaus in erster Linie um die Außer-Haus-Verpflegung kümmern soll. Das wird auch in München so sein, man will Seminare, individuelle Beratung und Fortbildungen anbieten für Kantinenbetreiber, Lieferanten für Mensen, Caterer, aber auch für Wirte, Köche und Restaurantleiter. Schritt für Schritt soll so die Umstellung auf Bio-Lebensmittel erreicht werden, die Zielmarke beträgt 90 Prozent - und das möglichst kostenneutral.

"Die innerbetriebliche Gemeinschafts-Gastronomie spielt eine Schlüsselrolle in der Ernährung, da sie nicht nur alle Gesellschaftsgruppen erreicht, sondern häufig auch die einzige warme Mahlzeit des Tages ist und so langfristig betrachtet die Grundlage für das Wohlbefinden vieler Millionen Menschen (in Deutschland) bildet. Ganz besonders wird dies klar, wenn wir erkennen, wie oft wir nahezu in jedem Lebensstadium 'fremd' verpflegt werden, anefangen in der Kita, über Schul- und Unimensen, Betriebskantinen sowie Alten- und Pflegeheime. Die Gemeinschafts-Gastronomie kann auch als strategischer Partner der regionalen Landwirtschaft eine zentrale Funktion einnehmen und durch ihre Hebelwirkung mit vielen Millionen Essen täglich die Weiterentwicklung der verantwortlichen Landwirtschaft aktiv fordern und fördern." Theresa Geisel ist Vorsitzende der Initiative Food&Health, die zum Beispiel deutschlandweite Kantinentests durchführt. (Foto: privat)

Ein Ziel, das sich zum einen erreichen lässt, indem man den Fleischkonsum drastisch verringert, denn der macht das Essen teuer - jedenfalls, wenn es sich um Bio-Qualität handelt. Das bedeutet vermutlich das Ende des Kantinenklassikers Currywurst, wie man ihn kennt. Zumindest dürfte er nicht mehr so häufig auf der Karte stehen wie bisher. Oder in anderer Form, als vegetarische Alternative etwa. Ansonsten lässt sich viel einsparen beispielsweise durch Direktvermarktung mit regionalen Erzeugern, neue Einkaufsgenossenschaften, stärkere Ausrichtung auf regionale Produkte und die Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Ein "Bio-Regio-Management", wie das Klima- und Umweltschutzreferat das nennt, soll entwickelt werden, "um regionale Bio-Erzeuger und das Bio-Lebensmittelhandwerk mit Verpflegungseinrichtungen in der Stadt zu vernetzen", wie Referatssprecherin Gesine Beste mitteilt.

Nicht alles, was man sich da vorstellen kann, wird dann aber am Stadtrand im Ernährungshaus stattfinden. Es ist ja im Wesentlichen als Schrittmacher gedacht, als Anspitzer und Förderer. Vieles soll auch in Kooperation mit bestehenden Gruppen und Initiativen geschehen, und davon gibt es in München ja eine ganze Menge - mehr als in vielen anderen Großstädten. Seminare und Fortbildungen können dann durchaus auch dezentral stattfinden, oft in kleineren Einrichtungen.

Urban Gardening ist eine mehr als 100 Jahre alte Idee, firmierte früher aber unter dem Begriff "Schrebergarten"

Praktischen Nährwert wird es aber auch für einzelne Menschen geben, sofern sie gerne essen und kochen. "Perspektivisch soll jede Münchnerin und jeder Münchner nicht nur als Tischgast, sondern auch als Privatperson von nachhaltig produzierten Lebensmitteln profitieren können", sagt Gesine Beste. "Um dieses Ziel zu erreichen, sind verschiedene Ansätze auf Quartiersebene vorstellbar, wie beispielsweise Urban Gardening oder Ernährungsbildung." Einer der Schwerpunkte des Koalitionsvertrags zwischen Grünen und SPD im Rathaus ist ja die "Bildung für nachhaltige Entwicklung", und dazu zählt auch das Wissen darüber, wie man sich ohne Mehrkosten gesünder und verantwortungsbewusster ernährt.

Urban Gardening wiederum ist eigentlich eine mehr als hundert Jahre alte Idee, firmierte früher aber unter den Begriffen "Schrebergarten" oder "Kleingarten". Heute versteht man darunter sogar Kleinstgärten, etwa in Gestalt von Hochbeeten auf dem Wohnungsbalkon oder auf Brachflächen in der Stadt. Auch rund um das künftige Ernährungshaus soll es so etwas geben. Man soll ja schließlich lernen können, wie man so etwas praktisch anpackt.

In diesem Jahr ist damit aber nicht mehr zu rechnen. Während andere Initiativen zum Thema Ernährungswende an Schulen und Kantinen noch vor der Sommerpause in den Stadtrat kommen sollen, wird es mit dem Ernährungshaus wohl erst im Herbst etwas, und auch dann wird es noch ein paar Monate dauern bis zum Start. Aber nach einem zünftigen Rote-Bete- und Steckrübenwinter freut man sich ja auf ein Frühlingsfüllhorn voll frischem Gemüse umso mehr.

© SZ vom 02.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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