Ungarn:Mutmaßlicher Hackerangriff bremst Opposition gegen Orbán aus

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Gilt als Favorit im Lager der Oppositionellen: Budapests Bürgermeister Gergely Karácsony. (Foto: Bela Szandelszky/AP)

Ein dubioser Zusammenbruch der Website verursachte Chaos bei der Kandidatenkür und ernüchtert die Gegner von Viktor Orbán. Führt eine Spur bis nach China?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der Start am vergangenen Wochenende war mit großer Spannung erwartet worden: Am 18. September waren sechs Oppositionsparteien in Ungarn in die erste von zwei Runden gestartet, mit der per Urwahl ein gemeinsamer Spitzenkandidat gekürt werden soll. Es ist ein ungewöhnliches Experiment, das Parteien von links bis rechts vereint. Am Ende soll einer von fünf hoffnungsfrohen Kandidaten in den Wahlkampf gegen Ministerpräsident Viktor Orbán ziehen - und im Idealfall im kommenden Frühjahr als Anführer die Parlamentswahl gegen Orbáns Fidezs-Partei gewinnen.

Monatelange Vorbereitungen, harte Verhandlungen und die Kür gemeinsamer Direktkandidaten in allen 106 Wahlkreisen waren der Wahl des Spitzenkandidaten vorausgegangen. Nun treten vier Männer und eine Frau an, um Orbán zu schlagen, der seit 2010 mit Zweidrittel-Mehrheit im Parlament regiert. Lange Schlangen hatten sich schon am frühen Samstagmorgen überall dort gebildet, wo Oppositionsanhänger lieber persönlich als online abstimmen wollten; die Vereinte Opposition setzt auf die Empörung über eine korrupte und zunehmend demokratiefeindliche Regierung und darauf, gemeinsam ein Wahlsystem zu überwinden, das Orbán zum eigenen Vorteil umgebaut hatte.

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Aber die Euphorie war schnell vorbei, als nach wenigen Stunden die Webseite zusammenbrach, auf der man sich registrieren und seine Stimme abgeben konnte; der Abstimmungsprozess musste fürs Erste ganz unterbrochen, die Wähler mussten vertröstet werden. Anfangs befürchteten die Organisatoren eine Überlastung des Systems, sprachen aber bald darauf von einem Hackerangriff, der möglicherweise über chinesische Server gelaufen und im Interesse oder gar im Auftrag der Regierungspartei durchgeführt worden sei.

Regierungsnahe Presse reagiert mit Hohn

Die Vorwahl wurde am Montagmorgen mit einigen Anlaufschwierigkeiten fortgesetzt; der Abstimmungszeitraum soll nun nach hinten verlängert werden. "Die Behörden haben Angst, dass die Menschen ihre Ansichten zur Vorwahl massenhaft äußern wollten", schrieben die Vertreter der Oppositionsparteien in einer gemeinsamen Erklärung. Obwohl ein Hackerangriff auf das IT-System der Kampagne stattgefunden habe, hätten sie eine Botschaft an Viktor Orbán: "Ihr Plan wird nicht aufgehen", keine Kraft könne den historischen Prozess stoppen, die Wähler würden sich nicht von der Stimmabgabe abbringen lassen.

Derzeit liegt die Vereinte Opposition in Umfragen etwa gleichauf mit Fidesz. Dem liberalen Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony, der unter anderem von der Partei Dialog und den ungarischen Sozialdemokraten unterstützt wird, werden die größten Chancen zugerechnet; Klára Dobrev von der Demokratischen Koalition (DK) und der Chef der rechtskonservativen Jobbik Partei, Peter Jakab, gelten ebenfalls als aussichtsreiche Kandidaten. In einer zweiten Runde Anfang Oktober soll die Stichwahl zwischen den Spitzenreitern stattfinden.

Die regierungsnahen Medien im Land höhnten umgehend, der Hackerangriff sei nur vorgeschoben. An den technischen Problemen könne man schon sehen, dass diese Opposition nichts zustande bringe, wer nicht mal eine Urwahl organisieren könne, könne auch kein Land regieren. Die Tageszeitung Magyar Hirlap bezeichnete den Beginn der Abstimmung als "Kabarett-Witz", bei dem Attacken von außen in den Raum gestellt würden, um die eigene Inkompetenz zu überdecken. Magyar Nemzet nannte das Prozedere ein "riesiges Desaster".

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Seit Wochen trommeln Orbán-nahe Blätter und das Staatsfernsehen zudem gegen den früheren, sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, der 2006 eine interne Ansprache vor Parteifreunden gehalten hatte, in der er einräumte, die Wähler jahrelang getäuscht zu haben. Sie ist als "Lügenrede" in die Geschichte des Landes eingegangen.

Im Oktober desselben Jahres kam es damals zu Straßenschlachten, bei denen die Polizei hart gegen Demonstranten vorging. Die Empörung über die Ereignisse von 2006 nutzte Orbán nicht nur für seine Rückkehr an die Macht 2010, sondern er griff den Ex-Premier über die Jahre auch immer wieder an, um diesen als Profiteur linker Politik in Ungarn hinzustellen. Das Fidesz-Narrativ lautet, Gyurcsány, mittlerweile reicher Geschäftsmann und Gründer der Partei DK, sei der Strippenzieher der Vereinten Opposition und ihr heimlicher Spitzenkandidat; er bestimme, wer siege, er werde der eigentliche Regierungschef sein.

15 Jahre nach den Ausschreitungen im Herbst 2006 und pünktlich zum Start der Vorwahl nehmen die Attacken noch zu. Eine Kampagne mit dem Slogan "Stoppt Gyurcsány, stoppt Karácsony", in welcher der chancenreiche Budapester Bürgermeister als Marionette des DK-Chefs hingestellt wird, setzt den Ton für die kommenden Monate.

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