Russlands Truppenaufmarsch:"Größte Kriegsgefahr seit 30 Jahren"

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Ein ukrainischer Soldat beim Einsatz an der Frontlinie im Osten des Landes. (Foto: Andriy Dubchak/AP)

Die OSZE warnt vor einer dramatischen Verschärfung der Spannungen zwischen Moskau und Washington. Könnte die Organisation im Konflikt um die Ukraine vermitteln?

Von Cathrin Kahlweit, Wien, und Frank Nienhuysen, Wien/München

Der amerikanische OSZE-Botschafter Michael Carpenter sagte am Donnerstag in Wien am Rande der OSZE-Sitzung, in der es vor allem um die Spannungen zwischen Russland und dem Westen ging, die Krise werde immer dramatischer und die Stimmlage der Russen "schriller". US-Präsident Joe Biden habe deutlich gemacht, dass die USA zu massiven Gegenmaßnahmen bereit seien, sollte sich Moskau zu Aggressionen hinreißen lassen. Man werde die Sicherheitsinteressen eines Staates nicht über die von vielen anderen stellen, zumal es Russland sei, das zuletzt in zwei anderen Staaten einmarschiert sei. Carpenter verwies damit auf die Ukraine und Georgien. Carpenter wollte nicht über die Hintergründe der russischen Truppenverlegung an die westliche Grenze spekulieren. Aber man müsse auf eine Eskalation vorbereitet sein.

Die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die eigentlich zum Jahresbeginn die Übernahme des Vorsitzes durch Polen in den Mittelpunkt ihres aktuellen Treffens stellen wollte, handelt immer im Konsens, sodass Entscheidungen, die sich gegen ein Mitglied richten könnten, praktisch ausgeschlossen sind. Der amerikanische Botschafter verwies deshalb darauf, dass sich das Vorgehen im Rahmen der OSZE vor allem auf Verhandlungen fokussieren müsse. Niemand gehe davon aus, dass es schnell zu einer Lösung komme; es gehe jetzt darum, dass man in einen neuen Sicherheitsdialog eintrete.

Parallel zu den Gesprächen in Wien hatten sich zuletzt Vertreter von Nato und Russland zu einem Dialog getroffen, zudem hatten sich die EU-Verteidigungsminister in Brüssel mit dem Thema befasst. Russland hat sich bislang unversöhnlich gegeben, was die eigenen Forderungen angeht. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung hat auch der ständige OSZE-Vertreter Russlands, Alexander Lukaschewitsch, am Donnerstag vor der OSZE auf eine baldige Entscheidung über die von seinem Land geforderten Sicherheitsgarantien gepocht. Ein Verschleppen der Verhandlungen könnte zu einer "unvermeidlichen Verschlechterung der Sicherheitslage ausnahmslos aller Staaten" führen, so Lukaschewitsch. Russland sei ein friedliebendes Land. "Aber wir brauchen keinen Frieden um jeden Preis."

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Polens Außenminister Zbigniew Rau, der derzeit den OSZE-Vorsitz hat, reagierte mit einer Warnung: "Es sieht so aus, als sei die Kriegsgefahr im Gebiet der OSZE derzeit so groß wie seit 30 Jahren nicht mehr", sagte er am Donnerstag. Die OSZE könnte bei der Eindämmung der Spannungen zwischen Russland und dem Westen im Prinzip eine große Rolle spielen, denn ihr gehören 57 Staaten an. Auch Russland, die USA und die europäischen Staaten. "Nur in der OSZE können wir gemeinsam an einem Tisch sitzen, mit den gleichberechtigten Stimmen aller Teilnehmerländer", sagte der US-Vertreter bei der OSZE, Michael Carpenter. Doch die Effizienz der Organisation wird immer wieder durch die eigenen Mitglieder geschwächt.

Die Mission beklagte sich immer wieder darüber, dass sie in ihrer Arbeit behindert werde

Andrij Jermak, der als Chef des ukrainischen Präsidialamtes auf Kiewer Seite die Verhandlungen führt, hält die derzeitige Präsenz der OSZE in der umkämpften Ostukraine für völlig unzureichend. Er fordert, dass Deutsche und Franzosen bei der Beobachtung der Rebellengebiete und der Einhaltung des Waffenstillstandes helfen müssten. Allein die installierten Kamerasysteme der OSZE hätten nach deren Angaben im Laufe der Jahre fast 300 000 Verstöße gegen den Waffenstillstand festgestellt.

Die OSZE ist seit März 2014 mit einer speziellen Beobachtermission (SMM) in der gesamten Ukraine unterwegs, bemüht sich um einen Dialog und beobachtet die Lage vor allem an der umkämpften Grenzlinie im Donbass. Doch praktisch sind ihre Mittel in dem Konflikt arg begrenzt. Die OSZE-Beobachter sind unbewaffnet, aus Sicherheitsgründen finden Patrouillen nur bis zum Einbruch der Dunkelheit statt. Und immer wieder hat sich die Mission darüber beklagt, dass ihre Bewegungsfreiheit und damit ihre Arbeit behindert wird. Mal haben die von Russland unterstützen Rebellen sie daran gehindert, ihren Stützpunkt zu verlassen, wie etwa in der Stadt Horliwka in der Donezker Region, mal werden ihre elektronischen Überwachungssysteme mit Störsendern beeinträchtigt.

Auch ist nur die OSZE befugt, Drohnen über den umkämpften Gebieten einzusetzen, doch wird dieses Monopol ständig unterlaufen. Ein ukrainischer Frontsoldat erzählte dem Sender Radio Free Europe/Radio Liberty einmal, dass prorussische Rebellen eigene Drohnen unmittelbar hinter einer OSZE-Drohne aufsteigen ließen, sodass er nicht in diese Richtung schießen durfte. Aber auch die Ukraine hat schon mit eigenem Einsatz einer türkischen Drohne den Westen verärgert, was Kiew mit dem Recht auf Selbstverteidigung rechtfertigte. Der Autorität der Sicherheitsorganisation hilft dies natürlich nicht.

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